Im Folgenden dreht es sich um eine sächsische Nebenbahn. Unscheinbar, und von den meisten unbeachtet, verlief sie entlang der Hinterhöfe und durch Waldgebiete. Ihr Zweck waren der Gütertransport und die strategische Umleitungsreserve. Auf manchen Landkarten war sie gar nicht abgebildet. Ihrer Daseinsberechtigung beraubt, soll die Trasse künftig Radfahrenden dienen.
In dieser Beitragsreihe werden alle markanten Punkte der Strecke, im Wandel der Zeit, vorgestellt. Der Tod gehört zum Leben! Von daher soll auch dem Gleisabbau ein abschließendes Kapitel gewidmet werden.
Etwas Streckengeschichte
Bei der „Chemnitzer Industriebahn“, welche vom Bahnhof Küchwald über Chemnitz-Altendorf und Grüna oberer Bahnhof nach Wüstenbrand führt, handelt es sich genau genommen um zwei verschiedene Strecken:
Die ersten 11,6 Kilometer befinden wir uns auf den Gleisen der am 17. Dezember 1903 in Betrieb genommenen Güterzugstrecke Küchwald – Obergrüna (Abzweig Schützenhaus). Ihre Aufgabe war die Anbindung zahlreicher Fabriken im Pleißenbachtal sowie der Ortschaften nordwestlich von Chemnitz – Borna, Schloßchemnitz, Altendorf, Rottluff und Niederrabenstein – an die „große weite Welt“. Die als CO-Linie bezeichnete Nebenbahn diente ausschließlich dem Güterverkehr. Sie war, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts üblich, großzügig trassiert. Bis auf einzelne Waldwege gab es keine niveaugleichen Wegübergänge. Das Gleis führte über hohen Bahndamm oder durch Einschnitte. Straßen wurden mittels Gewölbebogen über- oder unterquert. Für den Abschnitt Küchwald – Chemnitz-Altendorf erwarb man Grundstücke großzügig, um sich die Option einer späteren Zweigleisigkeit offen zu halten. Zahlreiche Gleisanschlüsse sorgten bis in die frühen 1990er-Jahre für umfangreichen Übergabeverkehr.
Die übrigen 3,6 Kilometer bis Wüstenbrand sind Teil der 1897 eröffneten Linie Limbach (Sachs) – Wüstenbrand (LWd). Hier gab es bis 1950 auch Personenverkehr. Seither bilden die Strecken eine betriebliche Einheit: CO + LWd-Rest = CWd, könnte man es auf den Punkt bringen. Die Kilometrierung zwischen Grüna und Wüstenbrand passte man jedoch erst Jahrzehnte später an.
Durchgangsverkehr war nur zu Umleitungszwecken üblich. So beispielsweise nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges in der Chemnitzer Innenstadt oder in den 1960/70er-Jahren während Bauarbeiten auf der parallel verlaufenden DW-Linie (heutige KBS 510).
Ab 1990 ging das Güterverkehrsaufkommen auch hier drastisch zurück. Der letzte Anschließer in Altendorf wechselte im Jahr 2000 auf die Straße. Zwischen Sommer 1997 und 27. Mai 2000 gab es täglich Ganzzugverkehr mit Kohle-, Gips-, Kalk- und Aschezügen für das Heizkraftwerk Chemnitz-Nord II. Anschließend herrschte Betriebsruhe (bis auf wenige Ausnahmen 2001-2003).
Die „Hausstrecke“
Was ist eine Hausstrecke? Die Eisenbahn, welche durch die unmittelbare Heimat führt, nahe am Elternhaus vorbei, wird unter Eisenbahnfreunden umgangssprachlich als „Hausstrecke“ bezeichnet. Für viele ist sie stark identitätsstiftend, verbunden mit vielen Kindheitserinnerungen auch emotional von größerer Bedeutung. Alles was auf der Hausstrecke rollt, wird umfassend dokumentiert und prägt sich in’s Gedächtnis ein. So ist es natürlich nicht bei jedem. Viele haben sich einer bestimmten Lokbaureihe verschrieben, und sind selten „vor der Haustür“ aktiv. Andere sind im ganzen Land unterwegs – jeder wie er mag! Für mich haben schon immer die regionalen Strecken Priorität gehabt. Dabei geht es mir nicht nur um Fahrzeuge, sondern um die Eisenbahn als Ganzes mit all ihren Begleiterscheinungen.
Ich selbst habe die 1990er-Jahre auf der CWd-Linie noch bewusst erleben können. So konnten nahezu alle etablierten DR-Diesellokbaureihen noch am Scheitelpunkt unterhalb der Leipziger Straße am Crimmitschauer Wald sowohl akustisch als auch optisch genossen werden. Besonders in Erinnerung sind die wochentags verkehrenden Übergaben nach/von Altendorf mit V 60 (BR 344-346) geblieben, welche ganz unterschiedlich ausgelastet waren. Fcs- oder Es-Wagen mit Kohle und zweiachsige blaue Kesselwagen für den Brennstoffhändler an der Beyerstraße waren fast immer dabei. Der unvergleichliche V 60-Sound in der Steigung, das dreimalige Erschallen des Typhons im Crimmitschauer Wald und die optische Erscheinung der goldgelben V 60 wurden zur persönlichen Sinfonie. Anfang der 1990er-Jahre dampften hier auch die damals noch reichhaltig vorhandenen betriebsfähigen Museumsloks in schöner Regelmäßigkeit vorbei, u. a. 38 205, 50 849, 50 3616, 58 3047 und 86 1333.
Streckenbeschreibung
Küchwald Zweigstelle / Bf Küchwald / seit 12/2018: Chemnitz Küchwald (km 0,0 CO/CWd/KCCh; km 58,55 KC; km 24,95 WbC)
Der Bahnhof Küchwald ist bereits in diesem Beitrag näher vorgestellt worden. Der offizielle Nullpunkt unserer Strecke befindet sich nicht an der Abzweigweiche, sondern bahnhofsmittig, in Höhe des 2018 errichteten Haltepunktes. Die Hektometertafel „0,0“ war bis 2021 vorhanden. Sie markierte zugleich diametral den Anfang der Verbindungsstrecke zum Rangierbahnhof Chemnitz-Hilbersdorf (KCCh-Linie).
Chemnitz-Borna
Kreuzungsbauwerk KC-Linie / KBS 525 (km 1,48 CO/CWd / km 57,19 KC)
Viadukt Borna / EÜ Wittgensdorfer Straße (73 m; km 1,69 CO/CWd)
Das Viadukt befindet sich in Fahrtrichtung Wüstenbrand in einem Linksbogen. Es besitzt einen kleinen, sieben mittlere (lichte Weite je 5,46 / 6,00 m) und einen großen Bogen (13,12 m Spannweite), welcher die Mittelstraße, heute Wittgensdorfer Straße, überspannt.
vier parallele Gleise (inklusive Streckengleis), zwei Stumpfgleise, Lademaß
Güterschuppen/Abfertigungsgebäude (150 m²)
Anfang 1970er-Jahre: Umwandlung in Anschlussstelle, Änderung des Gleisplans (Expansion ERMAFA-Gelände)
1974: vormontierte 45-47 m lange Binder für die neue Karl-Marx-Städter Bahnhofshalle werden vom Stahlbau Dessau per Culemeyer-Straßenroller angeliefert, hier gestrichen und auf dem Schienenwege ans Ziel gebracht
1997: Ausbau der Weichenanbindung Nebengleise (Ladestraßenbereich)
Frühjahr 2000: Rückbau der Nebengleise (Ladestraßenbereich)
Anschluss C. G. Haubold jr. / VEB ERMAFA (km 1,85 CO; später: km 2,02 CWd)
Carl Gottfried Haubold (1792-1862) war ein Cousin von Carl Gottlieb Haubold (1783-1856), und gründete 1837 den Maschinenbaubetrieb C. G. Haubold jr. im Areal der heutigen Ermafa-Passage. Es war der erste Maschinenbaubetrieb in Chemnitz. Daraus leitet sich das Akronym „ERMAFA“ (Erste Maschinenfabrik) als späterer Firmenname ab. Die Geschäftsführung entschied sich 1913 für einen Gießereineubau mit einer Halle von ca. 8000 m² im Stadtteil Borna. Das Herzstück des Schmelzbetriebes bildeten drei Kupolöfen von Krigar. Einer aus der Gründungszeit von 1913/14 blieb bis heute als technisches Denkmal erhalten. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg verfügte das Werk über eine Rangierlok mit Verbrennungsmotor und Stangenantrieb (Fabrikat unbekannt).
Erste Projektierungen sahen einen Scheiteltunnel an dieser Stelle vor. Um Kosten zu sparen, verzichtete man darauf, und nahm eine höhere Steigung (1:70 statt 1:80) in Kauf. 1902 bis 1997 war die Straßenbrücke als Gewölbebogen ausgeführt. Davon sind mir leider keine Nahaufnahmen bekannt.
„Durch den Crimmitschauer Wald“
Die Bahn durchquert den Crimmitschauer Wald in einem langgezogenen Linksbogen. Zwischen den beiden niveaugleichen Wegübergängen wird der Ratsbach überquert. Der Wald verdankt seinen Namen mutmaßlich dem Abt des Benediktinerklosters auf dem Schloßberg, Ulrich von Crimmitschau (14. Jh).
BÜ Anton-Ohorn-Steig (km 2,8 CO/CWd)
BÜ Erlengrundweg (km 3,03 CO/CWd)
Anschluss Krankenhaus (km 3,2 CO/CWd)
Der von Leipziger Straße, Bürgerstraße und CO-Linie umgebene Krankenhauskomplex entstand 1911 bis 1915. Von da an diente der Gleisanschluss der Kohleversorgung des Kesselhauses. In Fahrtrichtung Wüstenbrand zweigte das Gleis nach links ab und überquerte den Krummer Weg auf einer kleinen Brücke. Es gab am Endpunkt zwei Stumpfgleise, eines davon führte direkt in das Kesselhaus. Die Anschlussweiche wurde im Mai 1972 ausgebaut.
BÜ = Bahnübergang CO = Strecke Küchwald – Obergrüna CWd = Strecke Küchwald – Wüstenbrand DW = Strecke Dresden – Werdau EÜ = Eisenbahnüberführung GS = Güterschuppen KBS = Kursbuchstrecke KC = Strecke Neukieritzsch – Chemnitz Hbf KCCh = Strecke Küchwald – Chemnitz-Hilbersdorf Rbf Ldst = Ladestelle LKM = VEB Lokomotivbau Karl Marx Babelsberg LWd = Strecke Limbach (Sachs) – Wüstenbrand MTEG = Muldental-Eisenbahnverkehrsgesellschaft mbH PRESS = Eisenbahn-Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn mbH SLUB = Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden SÜ = Straßenüberführung VEB = Volkseigener Betrieb VSE = Verein Sächsischer Eisenbahnfreunde e.V. WbC = Strecke Wechselburg – Küchwald
Danksagung
Folgende Personen haben durch Fotos, Informationen etc. zum Gelingen der CWd-Beitragsreihe beigetragen: Siegfried Bergelt Thomas Böttger Volker Dornheim Heinz Finzel (†) Thomas Hälsig Stephan Häupel Matthias Hengst Marco Heyde Sylvio Köstner Patrick Lohse Paul Mädler „lokpaul“ André Marks Andreas Matschke Thomas May Günter Meyer (†) Dr. Manfred Meyer Ronny Meyer Ronny Preußler Hans-Dieter Rändler Mathias Reips Lothar Schilde (†) Klaus-Dieter Schumacher Dirk Schüttler Felix Seraphin Steffen Tautz André „tt-bahner“ Heiko Vogler Außerdem: Heimatverein Grüna e.V. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden Dafür ein herzliches Dankeschön!
Weiterführende Literatur und Links
Häupel, Stephan (2014): Chemnitz – Obergrüna. In: Machel, Wolf-Dietger (Hrsg.): Neben- und Schmalspurbahnen in Deutschland einst & jetzt. Loseblattsammlung. 104. Ergänzungsausgabe. München: GeraNova.
Sie verfügen über weiteres, bisher unveröffentlichtes Bild- oder Filmmaterial, Anekdoten oder sachdienliche Informationen zur Strecke Küchwald – Grüna ob Bf – Wüstenbrand aus Betriebszeiten (1897-2003)? Dann kontaktieren Sie uns bitte!
Vielen Dank für die tollen Eindrücke und Erinnerungen und die Erklärungen zu den Fotos der Cwd Linie, Teil 1 und 2.👍👍👍
Habe als Kind oft im Bahnhof Altendorf der BR 106 beim Rangieren zugeschaut. Die Ludi’s während des Umleitungsverkehr s waren auch eine Augenweide und gut zu hören.
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Vielen Dank für die tollen Eindrücke und Erinnerungen und die Erklärungen zu den Fotos der Cwd Linie, Teil 1 und 2.👍👍👍
Habe als Kind oft im Bahnhof Altendorf der BR 106 beim Rangieren zugeschaut. Die Ludi’s während des Umleitungsverkehr s waren auch eine Augenweide und gut zu hören.