Tatra-Abschied in Chemnitz

Ende Juni 2020 schieden die letzten modernisierten Tatra-Traktionen (T3D-M) aus dem Liniendienst bei der CVAG aus. Zwar werden vorläufig einzelne Garnituren weiterhin als Notreserve vorgehalten, doch im Großen und Ganzen ist eine Ära zu Ende gegangen, welche mit der Auslieferung des ersten T3D im Dezember 1968 ihren Anfang nahm. Grund genug noch einmal auf die knapp drei Jahrzehnte zurückzublicken, in denen die modernisierten Fahrzeuge das Stadtbild entscheidend mitgeprägt haben.

Die 36 jüngsten T3D (497 bis 532; Bj. 1981/83/88) und 14 Beiwagen (749 bis 762) sind 1992/93 bei der Waggonbau Bautzen GmbH (heute Bombardier) einer grundlegenden Modernisierung unterzogen worden. Für elektrotechnische Belange zeichnete die AEG-Westinghouse Transportsysteme GmbH verantwortlich. Die fortan als T3D-M bezeichneten Fahrzeuge unterscheiden sich optisch stark vom Ursprungsfahrzeug durch neue, rechteckige Frontscheinwerfer und eine als Prallelement ausgeführte Frontschürze. Die Dachpartie ist durch Installation einer Belüftungsanlage kantiger ausgeführt und erhielt großflächigere, rechteckige Fahrtzielanzeigen (bei geraden Fahrzeugnummern unterblieb dies im Stirnbereich). Das Fahrwerk ist nun auch seitlich komplett verkleidet. Die Doppelfalttüren wurden durch Außenschwenktüren mit jeweils einem großen und einem kleineren rechteckigen Fenster ersetzt. Neben der Komforterhöhung für den Fahrgast durch gepolsterte Bestuhlung sind auch die Arbeitsbedingungen des Fahrzeugführers verbessert worden. Beispielsweise durch elektromotorisch betätigte Stromabnehmer und einen Hilfsfahrstand im Heck für Rückwärtsfahrten zu Rangierzwecken. Zur Erhöhung der Sicherheit besitzen die Fahrzeuge eine Anfahrsperre bei geöffneten Türen.

Ebenfalls neu ist die Farbgebung: Die Dachpartie ist in lichtgrau, der Wagenkasten in der Stadtfarbe himmelblau und die Fahrwerksverkleidung in kanariengelb gehalten.

[1] CVAG 501 wurde am Vormittag des 16.04.1992 vom ZT erstmals aus der seitlichen „Alten Halle“ der Hauptwerkstatt Kappel herausgezogen. Die Belüftungsanlage, keine Klimaanlage, war wegen des Transports auf dem Lkw noch nicht aufgesetzt. Bewegt wird das Ganze auf 925-mm-Gleisen!
[2] CVAG 501 + 502 + 751 am 10.05.1992 auf einer der ersten Probefahrten als Großzug in  der Endstelle Schönau.
[3] Später erhielt der Großzug 501 + 502 + 751 eine Ganzwerbung. Diese verlor er 2004 wieder, nur um wenig später für immer abgestellt zu werden. Am 01.04.2003 hielt die Garnitur an der Haltestelle Schillerplatz.

Im Einsatz standen die T3D-M stets in den Kombinationen T+T und T+T+B. Aufgrund der genannten Veränderungen im Frontbereich lassen sich ungerade Nummern nur als führendes Fahrzeug kuppeln. Neben dem erwähnten Prallelement unterscheiden sie sich von den geraden Nummern noch durch eine einteilige Schwenktür im Führerhausbereich. Alle anderen Zustiege sind als Doppeltüren ausgeführt. Im August 2004 begann mit der Außerbetriebnahme der Fahrzeuge 497, 498, 501-504 und dazugehöriger Beiwagen die Abstellung der T3D-M.

[4] Abweichung von der Norm: Triebwagen 511 war 2004 zeitweise mit einem gelben Variobahn-Stromabnehmer ausgerüstet.
[5] An der Haltestelle Industriemuseum begegnen 521 + 522 einer Variobahn (10/04).
[6] Fahrzeuge, die den Chemnitzer Nahverkehr in der Nachwendezeit entscheidend geprägt haben: T3D-M und der MB O 405 GN.
[7] Ein Großzug an der Haltestelle Stadtwerke (3/05). Im Hintergrund das ehemalige Kaufhaus Schocken, das heutige smac: Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz.
[8] Der Zugverband 499 + 500 + 750 trug bis zuletzt eine Ganzwerbung für die Chemnitzer Tageszeitung Freie Presse in der Grundfarbe Weiß.
[9] 517 + 518 biegen von der Brücken- in die Bahnhofstraße. Die Gleisverbindung existiert seit 1997 (5/05).
[10] 2007 bis 2008 wurden die Fahrtzielanzeigen von Rollfilm auf LED-Matrix umgestellt. Zur Verabschiedung des „Zielfilms“ organisierten die Straßenbahnfreunde eine Netzbefahrung mit 511 + 512 am 16. März 2008. Als der Trakt in der Abstellung Schönau stand, regnete es.
[11] Im Juni 2010 endete der Beiwageneinsatz und damit – abgesehen von wenigen Fahrschuleinsätzen – die Zeit der Großzüge in Chemnitz. Im November 2009 war die SL 4 noch regulär mit Großzügen bestückt. 523 + 524 + 762 biegen von der Georg- in die Bahnhofstraße.
[12] Eine weitere, rein kosmetische Veränderung stellte die Neuerung der Eigentumskennzeichnung und der Fahrzeugnummernbeschriftung im Zuge des Corporate Designs der CVAG ab 2008 dar. In der Abstellanlage Altchemnitz / Krenkelstraße halten u.a. 507, 531 und 517 Wochenendruhe (6/10).
[13] Akuter Fahrzeugmangel brachte die T3D-M ab 2011 auch hin und wieder zu Linieneinsätzen als Einzelwagen. 531 als SL 6 am 25. Januar 2011 an der Haltestelle Schillerplatz.
[14] 505 biegt von der Carola- in die Bahnhofstraße, 525 + 526 warten in Gegenrichtung (1/11).
[15] 531 + 532 verlassen die Zentralhaltestelle ostwärts (4/11).
[16] Am 4. September 2011 organisierten die Chemnitzer Straßenbahnfreunde eine Sonderfahrt zur offiziellen Verabschiedung der Beiwagen. Dabei gab es die wohl einmalige Gelegenheit, die T3D-M in der Kombination Hängerzug T+B zu erleben. Während der Triebwagen 505 den Beiwagen 762 zog, war die Kombination des „ewigen Zweiten“ 512 mit Beiwagen 760 noch ungewöhnlicher.
[17] Am 16./17. März 2015 ist ein Großteil der teilweise schon mehr als ein Jahrzehnt im Betriebshof Adelsberg abgestellten T3D-M (497-504, 510, 511, 518 und 520) und B3D-M (752, 756, 757, 759-762) per Lkw zur Verschrottung nach Espenhain abtransportiert worden.
Einzelne Beiwagen (749-751, 753II-755) sind bereits 2011 nach Barnaul und Bijsk (Westsibirien) verkauft und dort zu Triebwagen umgebaut worden. Die Aufnahme zeigt die schon arg gerupften Wagen 498 und (mutmaßlich) 511 am 2. September 2012.
[18] Die Triebwagen 507, 509, 517 und 519 erhielten 2011 eine zusätzliche Ausrüstung für den Zweirichtungsbetrieb (Heck-an-Heck). 507 und 509 bekamen im Zuge dessen wieder eine Frontkupplung, um im regulären Verkehr als zweites Fahrzeug eingesetzt werden zu können. Das Querbahnsteiggebäude weicht der neuen Schienenverbindung, man vergleiche mit [11].
[19] Die Endstelle Schönau erreichen 529 + 530 am ungewöhnlich winterlichen 29. Oktober 2012.
[20] Nur wenige Monate war Wagen 519 mit dieser Farbaufteilung im Frontbereich unterwegs. Nach einem Unfall wurde das Design wieder der Beklebung von 2007 angeglichen.
[21] Probe- und Schulungsfahrten mit 517 + 507 auf der Neubaustrecke in die Bahnhofshalle (2/13).
[22] Stadteinwärts queren 527 + 528 den Falkeplatz (7/13). Der Plattenbau rechts ist im Jahr 2020 saniert worden.
[23] Der Gleisanschluss des Straßenbahnmuseums in Kappel im stadteinwärtigen Gleis der Linie 1 wird von 523 + 524 befahren (12/13).
[24] Die in einem Beitrag ausführlich vorgestellte Gleisbaustelle mit Interimsgleis in der Annaberger Straße mit 519 + 509 stadtauswärts (9/15).
[25] Nochmals 519 +509 am Bernsbachplatz (11/15). 519 warb seit 2013 für das Straßenbahnmuseum. 509 erhielt temporär Werbung.
[26] Sechs Jahre nach Bild [13] war 531 erneut Solist auf der Linie 6. Dieser Triebwagen wurde auch oft als Fahrschulwagen, in Traktion mit 532, genutzt.
[27] Seit vielen Jahren wieder T3D-M mit Ganzwerbung: 513 + 514 waren ab Herbst 2015 dunkelblau und warben entweder für ein spezielles Halloween-Fahrtangebot für Kinder oder den Nachtbus. Im Januar 2017 stehen sie im Hauptbahnhof.
[28] 515 + 516 befahren im Juli 2017 die Wendeschleife in Altchemnitz. Im Dezember des selben Jahres ist die SL 6 eingestellt worden, und die Schleife wird planmäßig nicht mehr genutzt. Der sichtbare Fluss ist die Zwönitz, welche sich wenige Meter später mit der Würschnitz zur Chemnitz vereinigt.
[29] Planmäßig gab es Dreifachtraktionen mit T3D-M nie. Nichtsdestotrotz schickten die Straßenbahnfreunde eine solche am 17. März 2019 auf das Netz. 517 + 507 + 506 rücken soeben aus dem Abstellgleis in Chemnitz Hbf aus.
[30] Im Frühling 2019 sah man Wagen 507 nochmals als führendes Fahrzeug im Liniendienst. Hier gekuppelt mit 506 bei der Ankunft an der Endstelle in Bernsdorf.
[31] Auch die Ende 2017 vollständig in Betrieb genommene SL 3 kam noch in den Genuss des T3D-M-Planeinsatzes. 523 + 524 schwenken aus der Reichenhainer Straße gen Wendepunkt Technopark (9/19).
[32] Der letzte Herbst für die himmelblauen Prager im Linienverkehr. 515 + 516 erreichen stadteinwärts die Zieschestraße.
[33] Nochmals 515 + 516 beim Erreichen der Endstelle Hutholz (10/19).
[34] Die 2017 neu geschaffene Gleisverbindung in die Reitbahnstraße nutzen 519 + 509 als SL 3 zum Technopark (10/19).
[35] Das Interimsgleis in der Augustusburger / Brückenstraße befahren 515 + 516 stadtwärts am 20. April 2020.
[36] Als Botschafter für die Kulturhauptstadtbewerbung 2025 werden die Wagen 523 und 524 am Abend des 28. Juli 2020 vom Betriebshof Adelsberg in die Innenstadt transportiert.
[37] Am Folgemorgen (29. Juli) werden die Triebwagen auf ein provisorisches Gleisstück am Stadthallenpark gehoben. Sie dienen im „Parksommer“ als Begegnungsstätte.
[38] Der Blick auf Wagen 523 und die Stadthalle am 1. August 2020. Mittlerweile sind die Fahrzeuge großflächig mit Graffiti beschmiert, und sehen für mein Empfinden nicht mehr schön aus. Na shledanou T3D-M!

Bildautoren: Volker Dornheim, RMC, MBC

© 2020 MBC

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3 Antworten

  1. Stefan1993 sagt:

    Ein sehr schöner Artikel und tolle Bilder! Dass um 2011 einige Tatras als Solo-Wagen verkehrten habe ich damals gar nicht mitbekommen. Es gibt ja böse Zungen die meinen, die modifizierten T3D´s in Chemnitz seien „hässlich“. Mir haben sie gefallen, und ich vermisse sie jetzt schon. Dieses charakteristische Klack-Geräusch, welches sie beim Beschleunigen von sich gaben, habe ich noch jetzt in den Ohren. Der abgestellte Zug im Stadthallenparkt wird Woche für Woche mehr verunstaltet. Sogar linksextreme Parolen sind drauf gekrizelt. Ich finde diesen „Abschied“ ziemlich unwürdig. Traurig, dass das Kapitel „Tatra Straßenbahnen in Chemnitz“ so enden musste.

    • MBC sagt:

      Hallo Stefan,
      dem kann ich zustimmen!
      Vielleicht gibt es noch einen würdigeren Abschied.
      Noch existieren ja einige Exemplare mit Fristen.

      Viele Grüße
      M.B. aus C

  2. Michael Kujawa sagt:

    Auch ich fand die T3D-M irgendwie modern, mit eigenem Stil. Bedauerlich, dass sie nicht besser verkauft wurden, viele osteuropäischen Betriebe hätten sich ganz sicher die Finger danach geleckt.

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