Die Mülsengrundbahn Mosel – Ortmannsdorf (aktualisiert 02/2023)

Der Mülsengrund ist ein malerisches Seitental der Zwickauer Mulde östlich von Zwickau. Das Tal des Mülsenbaches ist dicht bebaut und weist eine vergleichsweise hohe Bevölkerungsdichte auf. 1999 schlossen sich acht Gemeinden zu Mülsen zusammen und bilden seither „das größte Dorf Sachsens“. Nicht in Vergessenheit geraten, aber doch schon weit in der Vergangenheit liegend, ist die Tatsache, dass auch der Mülsengrund einst eine Eisenbahnstrecke sein Eigen nannte. Diese 750-mm-Schmalspurbahn existierte vom 1. November 1885 bis zum 20. Mai 1951. Die mit der sächsischen Streckenbezeichnung „MO“ versehene Linie begann vor den Toren Zwickaus im Bahnhof Mosel, an der Strecke Dresden – Chemnitz – Werdau (DW-Linie). Gleich zu Beginn beschrieb die Strecke einen starken Rechtsbogen, über die Talaue der Zwickauer Mulde. Nach deren Querung reiste man durch den zunächst noch locker besiedelten Mülsengrund südwärts. Nach sieben Stationen und 13,94 Kilometern war schließlich der Endpunkt Ortmannsdorf erreicht. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges besiegelten das Schicksal der Bahn verfrüht, ihr Ende wäre aber wohl ohnehin spätestens Ende der 1960er-Jahre gekommen. Nun mag man davon ausgehen, dass mehr als sieben Jahrzehnte nach dem Streckenabbau von dieser romantischen Bimmelbahn anno 2023 nichts mehr übrig ist. Aber erfreulicherweise haben viele Zeitzeugen bis heute überlebt, gar mehr als bei vielen erst in den 1990er-Jahren stillgelegten Regelspurstrecken, und werden teilweise von Anwohnern und Eisenbahnfreunden liebevoll gepflegt. Seit Juli 2012 gibt es auch wieder einen passenden Reisezugwagen im Mülsengrund! All dies ist Grund genug, der unvergessenen MO-Linie auch auf eisenbahnseite.de ein würdiges Denkmal zu setzen.

Der Bahnhof Mosel an der heutigen Kursbuchstrecke 510 hat aktuell noch Bedeutung durch den in der Ostausfahrt angesiedelten Werkskomplex eines großen Automobilherstellers, welcher über eine umfangreiche Anschlussbahn verfügt. Im Bahnhof selbst herrscht die (gewohnte) Tristesse. Das Empfangsgebäude aus dem Jahr 1874 steht noch, allerdings leer. Neben den beiden Streckengleisen der DW liegt das Gleis der Güterzugstrecke Zwickau – Crossen – Mosel (ZCM-Linie), welche noch bis zum Gewerbegebiet Zwickau Nord vorhanden ist. Zwischen 1887 und 1895 führte bis zur Papierfabrik in Crossen ein 3,5 Kilometer langes schmalspuriges Anschlussgleis! Es wurde durch die ZCM überflüssig.

[1] Der Schmalspurteil des Bahnhofs befand sich im vorderen und rechten Bildbereich. Er verfügte über acht Gleise und einen dreiständigen Lokschuppen (wobei ein Stand nicht für die IV K verlängert wurde). Bis zuletzt mussten Güter von Schmal- auf Regelspur umgeladen werden, wofür eine Halle vorhanden war (Aufnahme vom 16. Februar 2023).
[2] Der von beiden Spurweiten genutzte Güterschuppen bot am 7. März 2011 ein trauriges Bild und wurde wenig später abgerissen. Vor dem hölzernen Anbau führte ein Schmalspurgleis mittig in den Schuppen hinein. Der Lokschuppen wurde bereits vor Jahrzehnten in zwei Etappen abgerissen.
[3] Die ersten Streckenmeter der MO lagen auf dem heute zum VW-Werk gehörenden Gelände. Im weiteren Verlauf ist der Bahndamm für landwirtschaftliche Zwecke gewichen. Am Ortseingang von Schlunzig befand sich ein Bahnübergang. Die Birken markieren den Streckenverlauf (Blick Richtung Ortmannsdorf).

Anschließend wurde die Zwickauer Mulde auf einer 52 Meter langen Brücke überquert. Von diesem markanten Bauwerk kann man heute leider nichts mehr erkennen (Fundamente sollen wohl noch im Erdreich schlummern). Auch von der ersten Unterwegsstation (Haltepunkt Wulm) ist heute außer einer Gedenktafel nichts mehr auszumachen, sodass auf eine Aufnahme verzichtet wird.

[4] Bei Streckenkilometer 4,04 befand sich der Haltepunkt Niedermülsen. Dem Arbeitskreis Mülsengrundbahn sei Dank, kann nun auch der Laie wieder die einstige Funktion des Areals erkennen. 970-492 wurde 2012 aus Döbeln übernommen und auf dem 2006 verlegten und 2011 verlängerten Gleisstück in Niedermülsen aufgestellt (Zustand am 19. November 2013).
[5] Seit 2015 präsentiert sich der Wagen 970-492 wieder „mülsengrundepochengerecht“ mit Holzbeplankung. Auch das Fundament der Wartehalle exisitiert noch in der Grünanlage.
[6] Zwischen Niedermülsen und Thurm existiert der Bahndamm noch weitgehend original und ist zum Birkenhain geworden.
[7] Die Haltestelle Thurm befand sich in Ortsmitte und wird seit der Einstellung der Bahn als Busstation genutzt. Kurioserweise gab es hier ab 1939 gleich zwei der hölzernen Wartehallen, je eine links und rechts der Gleise, denn das Gebäude der Station Wulm wurde nach der zeitweiligen Einstellung des Reiseverkehrs (1939-44) hierher versetzt. Die Gebäude überlebten bis 1978 beziehungsweise 1982. Eine Gedenktafel samt „Bahnulme“ erinnert daran (Blick gen Mosel am 19. November 2013).
[8] Ab Thurm ist die Trasse ein asphaltierter Rad- und Fußweg. Blick vom Bahnhof Thurm in Richtung Ortmannsdorf.
[9] Nächster Halt Stangendorf. Ein mit IV K bespannter Reisezug erreicht die Haltestelle von Mosel kommend. Da die Lok noch keine DRG-Nummer besitzt, muss die Aufnahme spätestens um 1920 entstanden sein. Damals war die MO noch eine Domäne der I K. Die Meyer-Gelenklokomotiven kamen erst mit der Verstärkung des Oberbaus dauerhaft in den Mülsengrund.

Nein, diese Aufnahme ist selbstverständlich nur eine Fotomontage! Der Kenner merkt dies natürlich sofort an den für damalige Verhältnisse viel zu mächtigen Stämmen der „Bahnulmen“, dem nicht-originalen Stationsschild, der fehlenden Weiche im Vordergrund und und und …

Die kleine Spielerei soll aber auch die Besonderheit verdeutlichen, dass das Stationshäuschen hier unüblicherweise quer zum Schienenstrang platziert wurde.

[10] Die Originalaufnahme zeigt uns, dass die Wartehalle in Stangendorf bis heute überlebt hat. Seit einigen Jahren trägt sie wieder den Stationsnamen. Der Großteil des Bahnareals ist heute mit Garagen und anderen Gebäuden bebaut. Von hier an ist die Bahntrasse zur Nebenstraße ausgebaut und asphaltiert.
[11] Der nächste planmäßige Halt war in Mülsen St. Micheln. Auch hier stand die Wartehalle quer zum Gleis und auch hier hat sie bis heute überlebt! Blick in Richtung Mosel. Der Gleisbereich der Station ist mit Garagen bebaut worden.
[12] Die Wartehalle in Mülsen St. Micheln am 16. Februar 2023. Auch hier wurde das Stationsschild 2010 wieder angebracht, wobei hier noch mehr Wert auf Originaltreue gelegt wurde. Auch das Fernsprechersymbol hängt wieder an der einstigen Stelle. Von den Bahnulmen ist im Gegensatz zu 2013 keine mehr vorhanden.
[13] Die folgenden Streckenkilometer sind ebenfalls zur Straße umfunktioniert worden. Blick gen Mosel. Im Hintergrund sind die Wartehalle und die Kirche St. Michael von Mülsen St. Micheln zu sehen.

Zum Fahrzeugeinsatz auf der MO-Linie: Die ersten Jahrzehnte dominierte die I K, ab und an kam auch eine III K zum Einsatz. Die letzten drei Jahrzehnte waren der IV K vorbehalten. Eine der „Stammloks“ – 99 535 – kann heute im Dresdner Verkehrsmuseum besichtigt werden. Es war im Regelfall nur eine Lok mit einem Zug auf der Strecke unterwegs. Rollbock- oder gar Rollwagenverkehr gab es nie.

[14] Folgt man der bitumierten Bahntrasse, quert man wenig später die heutige B 173 und erreicht daran anschließend die Haltestelle Mülsen St. Jacob. Sie befand sich dezentral am nördlichen Ortseingang. Auch hier hat ein Relikt nahezu unverändert die Zeiten überdauert: Das „Bahnhofshotel zur Linde“ aus dem Jahre 1909! Blick gen Mosel, die Trasse lag links vom Bild. Auch im Februar 2023 sind die alten Anschriften noch erkennbar. Rechts ist ein im Laufe der letzten Jahre mehrmals neu arrangiertes Denkmal zu erkennen, das an die Schmalspurbahn erinnert.

Hier kann man die gleiche Stelle zu Betriebszeiten sehen.

[15] Dort wo seit 1909 das Bahnhofshotel steht, befand sich zuvor eine architektonisch beeindruckende hölzerne Wartehalle. Diese gehörte nie der Bahn, sondern wurde von Privatpersonen unterhalten. Teile dieses Gebäudes wurden bei einem Anbau, neben dem Bahnhofshotel, wiederverwendet und haben auf diese Weise bis heute überlebt.
[16] Das Bahngelände in Mülsen St. Jacob besteht heute aus einer Straße, Parkplätzen und einem Souvenirgeschäft.

Die Gleispläne der Bahnhöfe/Haltestellen waren nahezu identisch. Es gab zwei parallele Gleise, wobei das Nebengleis in mindestens einer Richtung stumpf endete (drei Weichen). Neben einer Wartehalle waren ein Bahnsteig, ein Wagenkasten und ein Freiabtritt zumeist das höchste der Gefühle. Dies verdeutlicht die vergleichsweise geringe wirtschaftliche Bedeutung dieser Strecke.

[17] Im Folgenden ist die Trasse teils Fußweg, teils durch Privatgrundstücke verbaut. Erst bei Kilometer 11 ist die Lage wieder eindeutig. Die Widerlager einer Wirtschaftswegquerung und der Bahndamm (Blick gen Ortmannsdorf).
[18] Wenige Meter weiter wurde der „Amselgrund“ auf einer filigranen Stahlkonstruktion mit zwei stählernen Stützen gequert. Davon zeugen noch die Widerlager und Pfeilerfundamente.
[19] Die letzte Zwischenstation war Mülsen St. Niclas. Hier gab es, abgesehen von Mosel und Ortmannsdorf, den einzigen massiven Güterschuppen. Er steht noch heute, ist allerdings durch die Holzverkleidung schwer als solcher identifizierbar. Ansonsten säumen wieder Garagen das Terrain. Wir blicken von der ehemaligen Gleisseite gen Mosel.
[20] In der Ortslage Mülsen St. Niclas verhindern Privatgrundstücke eine durchgängige Trassenbegehung. Ein Stück Bahndamm, Blick gen Ortmannsdorf. Das Gebäude dürfte sich seit der Bahnzeit auch kaum verändert haben.
[21] Kurz vor dem Endpunkt wechselte die Bahn die Talseite auf einer Kombination aus Steinbogen- und Stahlträgerbrücke (72,14 Meter Länge). Davon zeugen noch der Mittelpfeiler und Reste der Steinbögen.

Und so sah die Brücke zu Betriebszeiten aus.

[22] Die Brückenreste auf Moseler Seite: Zur Materialgewinnung wurden die Steinbögen in den 1970er-Jahren weitgehend abgetragen. Die Notwendigkeit der Brücke (beziehungsweise des Wechsels der Talseite) wurde stets in Frage gestellt und ist höchstwahrscheinlich die Folge einer „Schmiergeldaffäre“.
[23] Das Bahnhofsareal des Endpunktes Ortmannsdorf ist erreicht. Hier gab es sieben (ab 1940 fünf) Gleise und einen zweiständigen Lokschuppen (im Hintergrund). Heute, wie auch sonst, stehen hier Garagen.
[24] Das Heizhaus diente nach dem „Verkehrsträgerwechsel“ als Busgarage und wird heute privat genutzt. Ein Kuriosum war, dass sich der Wasserkran nicht vor, sondern im Inneren des Gebäudes befand! Der Wartburg markiert die Streckengleislage.
[25] Das Empfangsgebäude und der sich anschließende Güterboden in Ortmannsdorf von der Gleisseite aus gesehen mit Blick in Richtung Mosel. In den 2000er-Jahren wurden die altehrwürdigen Gemäuer denkmalgerecht saniert und werden von einem Fensterbaubetrieb genutzt.

Zum Vergleich wieder ein Link in die Vergangenheit.

[26] Unverkennbares sächsisches Schmalspurflair! In Oberrittersgrün und in Geyer befanden sich vergleichbare Gebäude, allerdings verputzt ausgeführt.
[27] Ebenfalls erhalten blieb dieses Nebengebäude. Es ist das einzige Bahngebäude, welches wirklich auf Ortmannsdorfer Flur steht, wie auch das Straßenschild verrät. Der Großteil des Bahnhofs und das Viadukt stehen „eigentlich“ in Mülsen St. Niclas.

Neben diesen sehenswerten Relikten wird die Erinnerung an die Mülsengrundbahn auch durch Modellbauten und Literatur am Leben erhalten.

Epilog

Am 17./18. Oktober 2015 organisierte das im Ortmannsdorfer Bahnhofsgebäude wohnende Ehepaar Werner („Mülsener Fenster Michel“) ein Bahnhofsfest anlässlich „130 Jahre Mülsengrundbahn“. Der Tatsache, dass die Schmalspurbahn nun schon fast genau so lange Geschichte ist, wie sie einst existierte, zum Trotz, sollte nach gut 64 Jahren wieder eine IV K auf dem Ortmannsdorfer Bahnhof fahren. Eigens für diese zwei Tage wurden ca. 150 Meter Gleis provisorisch verlegt und 99 582 aus Schönheide per Tieflader herangeschafft. Den organisatorischen und finanziellen Aufwand für dieses „Spektakel“ will man sich lieber nicht im Detail vorstellen. Jedenfalls wurde das Fest trotz eher schlechten Herbstwetters sehr gut angenommen.

[28] Am 17./18. Oktober 2015 war 99 582 die Hauptattraktion beim Ortmannsdorfer Bahnhofsfest. Nachdem im Jahr 2010 hier schon die Schönheider 99 516 auf einem Tieflader zu sehen war, konnte nun „richtig Betrieb gemacht“ werden. Man beachte auch das kürzlich angebrachte originalgetreue Bahnhofsschild.
[29] Am Lokschuppen in Ortmannsdorf endete das Schienenstück. Mit 99 582, hier als 99 535 beschildert, war erstmals eine „Reko-“ bzw. Neubau-IV K im Mülsengrund auf Schienen aktiv.

© 2023 MBC

Wer sich ausführlicher mit dieser Strecke beschäftigen will, kommt am Buch zur Strecke nicht vorbei. Es kann uneingeschränkt empfohlen werden und diente auch für diesen Beitrag als wichtiger Anhaltspunkt:

Rasch/Heinrich/Drosdeck (2010): Schmalspurbahn Mosel – Ortmannsdorf. Die Geschichte der Mülsengrundbahn 1885-1951. Sonderausgabe zum 125. Streckenjubiläum 2010. Schönheide: FHWE.

Link zum Arbeitskreis Mülsengrundbahn

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