Die Industriebahn Küchwald – Wüstenbrand (Teil IV)

Streckenbeschreibung (IV)

Chemnitz, OT Grüna

EÜ Schaftreiberweg (km 10,42 CO/CWd)

[162] Fototechnisch ideal für die Kleindiesellok geeignet ist der Gewölbebogen über den Schaftreiberweg.

Steigungs- und bogenreich windet sich die Strecke durch den Rabensteiner Wald. Kurz bevor der Linksbogen bei km 11,4 in eine Gerade übergeht, kommt von rechts die Limbacher Strecke in leichtem Gefälle in Sicht. Am Waldrand münden beide Linien ineinander. Der Abzweig Schützenhaus ist erreicht.

Abzweig Schützenhaus (km 11,67 CO/CWd; km 8,53 LWd)

Hier mündete unsere Industriebahn in die sechs Jahre ältere Strecke Limbach – Wüstenbrand ein. Die Abzweigstelle fungierte zugleich als Blockstelle. Die CO hatte auf ihren letzten Streckenmetern vor der Einmündung in die LWd ihre größte Neigung von 1 : 60 (16,4 Promille). Güterzüge, die aus Richtung Küchwald kommend am Blocksignal zum Stehen kamen, hatten es je nach Witterung sehr schwer, wieder in Fahrt zu kommen. Deshalb galt es, dies möglichst zu vermeiden.

[163] Auf dieser Ansicht aus dem Jahr 1906 kann man die Geländeverhältnisse sehr gut nachvollziehen. Vorn die Rabensteiner Straße, dahinter die Limbacher Linie (LWd) und wiederum dahinter steigt die CO-Linie empor und mündet am Horizont in die LWd ein. Im Hintergrund ersichtlich ist die bauliche Ausstattung der Abzweigstelle Schützenhaus: v.l.n.r. das Wärter-Doppelwohnhaus, das Stellwerk und die beiden Formsignale. Beide Bahnstrecken säumen hölzerne Telegrafenmasten.
[164] 58 207 nähert sich von Wüstenbrand kommend der ehemaligen Abzweigstelle. Rechts im Vordergrund sieht man das Planum der Limbacher Strecke. Links sehen wir das leerstehende Stellwerksgebäude. Es wurde 1967 mit vertraglicher Zustimmung der DR von einem Grünaer Privatmann Stein für Stein abgetragen. Er erbaute daraus sein Eigenheim in der Grünaer Lutherstraße.
[165] Der Blick in die Gegenrichtung. 232 300 heult am 24.03.1999 mit einem Kohlen-Leerzug zum Tagebau Profen die Steigung aus Rabenstein empor. Das Wärter-Doppelwohnhaus blieb als Zeitzeuge der Abzweigstelle erhalten und ist nach wie vor bewohnt. Das Stellwerk stand rechts, ungefähr dort, wo sich der Schuppen befindet. Linkerseits kann man noch die Trasse nach Limbach erahnen.
[166] Herrliches Winterwetter ermöglichte am 30. März 2020 diese Aufnahme mit 100 738-4 am ehemaligen Abzweig.

EÜ Rabensteiner Straße / Viadukt Grüna oder „Forsthausbrücke“ (69 m; km 8,59 LWd; 11,73 km CWd)

[167] Auf dieser Aufnahme von 1991 sehen wir die Forsthausbrücke in ihrer ursprünglichen Bauform mit sechs Pendelstützen. Die Baufeldfreimachung links ist ein Vorbote für den baldigen Ersatz des Bauwerkes.
[168] Beim Neubau der Forsthausbrücke ist das westliche Widerlager durch Dammaufschüttung um einige Meter nach Küchwald vorgerückt. Planmäßig wurde das nun als pfeilerlose Schottertrogbrücke ausgeführte Bauwerk nur ein knappes Jahrzehnt von Schienenfahrzeugen genutzt. Im März 2000 rollten zwei 232 talwärts.
[169] Noch einmal zurück zum alten Viadukt: 118 368 und Vorspannlok 110 551 mühten sich am 22. April 1978 mit einem Nahgüterzug in Richtung Wüstenbrand über das betagte Bauwerk. Während am hier zu sehenden westlichen Brückenende eine einfache Laschenverbindung die Schienen zusammenhielt, befand sich am östlichen Brückenkopf eine Schienenauszugsvorrichtung. Das bedeutet, die Schienenenden sind schräg angeschnitten und überlappen sich, um eine höhere Längsverformung zuzulassen.
[170] Der Oberbau auf dem erneuerten Brückenbauwerk war hingegen mit Zwangsschienen ausgestattet. Im Februar 2020 pendelte nochmals ein SKL 25 mit Ladekran auf den todgeweihten Schienen.

BÜ Röhrsdorfer Straße (km 8,8 LWd; km 11,9 CWd)

[171] Viele Spaziergänger sind im Winter 1997/98 Zeugen eines weiteren Leerzuges ins Leipziger Braunkohlerevier. Die Röhrsdorfer Straße hat nur noch Feldwegcharakter. Schneespuren zwischen den Schienen verraten, dass auch damals schon Langläufer die Gleistrasse nutzten, was seinerzeit Lebensgefahr bedeutete!
[172] Der Bahnübergang Röhrsdorfer Straße in die andere Richtung mit der Grünaer Kirche. (3/20)

EÜ Pleißaer Straße (km 9,35 LWd; km 12,49 CWd)

[173] Die Überquerung der Pleißaer Straße besteht im jüngsten Zustand aus einem beidseitig mit Fußsteg und Geländer versehenen Stahlträger. Laut Schilde (1997, S.20) war die ursprüngliche Ausführung ein Steinbogen.

Obergrüna / Grüna (Sachs) ob Bf (km 9,81 LWd; km 12,94 CWd)

Mit diesem malerisch gelegenen Bahnhof haben wir die erste Betriebsstelle auf unserer Streckenwanderung erreicht, die auch dem Personenverkehr diente. Als letzte Zwischenstation der Linie Limbach (Sachs) – Wüstenbrand hielten hier vom 1. Dezember 1897 bis zum 29. Dezember 1950 Personenzüge. Anschließend diente der obere Bahnhof noch dem regionalen Güterumschlag. Zum Jahresende 1963 verlor er den Status Bahnhof und unterstand fortan dem Bahnhof Wüstenbrand als Ladestelle.

[174] Eine historische Ansicht auf Grüna mit dem oberen Bahnhof im Vordergrund. Blick nach Süden. Einige Güterwagen sind ersichtlich. Eine sächsische Schlepptenderlokomotive der Gattung I V (Bauart Mallet; DR-Baureihe 55.60) bespannt einen Güterzug nach Wüstenbrand. Dies grenzt den Aufnahmezeitpunkt auf 1898 bis 1927 ein. Links der Güterschuppen, jenseits der Gleise das Bahnhofsgebäude, ein Nebengebäude und ein Wagenkasten in Bildmitte bildeten die Hochbauten der Station. Sie existieren 2022 allesamt noch. Parallel zu unserer Nebenbahn verläuft, nicht sichtbar, unmittelbar hinter der Kirche, die Hauptstrecke Dresden – Werdau.
[175] Zirka 1990 verlegte die Bahnmeisterei Chemnitz ein beidseitig angebundenes Abstellgleis in Lage des früheren Gleises 3 neu. 232 679 rollte am 30. März 1999 mit einem Kalkzug für das Heizkraftwerk Chemnitz Nord II nach Küchwald durch den oberen Bahnhof. Wenige Wochen danach entfernte man die beiden Weichen und auch den Großteil der Schienen des Nebengleises endgültig.
[176] Dem neuen Eigentümer Sylvio Köstner sei Dank, bleibt ein Stück Eisenbahn in Obergrüna erhalten. Die Kö 4936 (ab 1970: 100 738-4; ab 1992: 310 738-0) ist seit Sommer 2013 hier heimisch. Bereits am 6./7. Dezember 1997 absolvierte sie anlässlich der Feierlichkeiten zu 100 Jahre Bahnstrecke Limbach – Wüstenbrand auf dem Bm-Gleis zahlreiche Führerstandsmitfahrten. Am herrlich winterlichen 30. März 2020 stand sie in Höhe der bis 1999 vorhandenen Weiche bereit für eine Fahrt in Richtung Rabensteiner Wald.
[177] Die Hochbauten im Sommer 2020. Die gestapelten Schienenstücke verraten, dass der Streckenrückbau weit fortgeschritten ist.
[178] Nach 1950 legten noch sporadisch Sonderreisezüge einen Halt in Obergrüna ein. Am 13. Juni 1999 machten 172 003 und 172 760 Station.
[179] Anlässlich 125 Jahre Eisenbahn in Chemnitz/Karl-Marx-Stadt zog 75 515 am 13. Juni 1977 einen Sonderreisezug von Karl-Marx-Stadt Hbf nach Wüstenbrand.
[180] Seit Mai 2022 ergänzt ein Wohnwagen (Dienst aa, Nr. 60 50 9993307-5), welcher zuletzt von der Regio-Infra-Service Sachsen genutzt worden ist, das Ensemble in Obergrüna. Da der Kran zum Abladen nun schon einmal da war, drehte man bei der Gelegenheit auch die Kleinlok um 180°.

Abkürzungsverzeichnis

BR = (Lokomotiv-)Baureihe
Bm = Bahnmeisterei
BÜ = Bahnübergang
CO = Strecke Küchwald – Obergrüna
CWd = Strecke Küchwald – Wüstenbrand
DR = Deutsche Reichsbahn
DW-Linie = Strecke Dresden – Werdau
EÜ = Eisenbahnüberführung
GS = Güterschuppen
Kö = Kleinlok mit Dieselmotor und mechanischer Kraftübertragung
Ldst = Ladestelle
LWd = Strecke Limbach (Sachs) – Wüstenbrand
SKL = Schwerkleinwagen
SÜ = Straßenüberführung

Danksagung

Folgende Personen haben durch Fotos, Informationen etc. zum Gelingen der CWd-Beitragsreihe beigetragen:
Siegfried Bergelt
Thomas Böttger
Volker Dornheim
Heinz Finzel (†)
Thomas Hälsig
Stephan Häupel
Matthias Hengst
Marco Heyde
Sylvio Köstner
Patrick Lohse
Paul Mädler “lokpaul”
André Marks
Andreas Matschke
Thomas May
Günter Meyer (†)
Dr. Manfred Meyer
Ronny Meyer
Ronny Preußler
Hans-Dieter Rändler
Herbert Reips
Mathias Reips
Lothar Schilde (†)
Klaus-Dieter Schumacher
Dirk Schüttler
Felix Seraphin
Steffen Tautz
André “tt-bahner”
Heiko Vogler
Außerdem:
Heimatverein Grüna e.V.
Dafür ein herzliches Dankeschön!

  • Häupel, Stephan (2014): Chemnitz – Obergrüna. In: Machel, Wolf-Dietger (Hrsg.): Neben- und Schmalspurbahnen in Deutschland einst & jetzt. Loseblattsammlung. 104. Ergänzungsausgabe. München: GeraNova.
  • Häupel / Schramm / Viehweger (1998): Nebenbahnen um Wüstenbrand. Nordhorn: Kenning. (vergriffen)
  • Herbach, Jens: https://www.sachsenschiene.net/bahn/str/str121.htm, letzter Abruf: 2022-11-29.
  • Schilde, Lothar (1997): Erinnerung an die Einweihung der Eisenbahnlinie Limbach – Wüstenbrand vor 100 Jahren, Teil 1. In: Rabensteiner Blätter. Nr.5 (3. Jahrgang). S.16-22.
  • Schilde, Lothar (2003/2004): 100 Jahre Industriebahn Chemnitz-Küchwald – Obergrüna, Teil 1-4. In: Rabensteiner Blätter. Nr.16-19 (9./10. Jahrgang).

Sie verfügen über weiteres, bisher unveröffentlichtes Bild- oder Filmmaterial, Anekdoten oder sachdienliche Informationen zur Strecke Küchwald – Grüna ob Bf – Wüstenbrand aus Betriebszeiten (1897-2003)? Dann kontaktieren Sie uns bitte!

Fortsetzung folgt

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