Baureihe 219/229 – U-Boote [Update 09/2015]
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Gehasst, geliebt, Kult! Kaum eine Lokbaureihe polarisiert so stark wie der aus Rumänien importierte sechsachsige Großdiesel mit den Bullaugen an den Seitenwänden. Unter anderem als Ablösung für die letzten Dampfloks der BR 95 im Thüringer Wald vorgesehen, hatte die Baureihe 119 bei den „Fans“ sowieso schon einen schweren Stand. Der katastrophale Zustand bei der Inbetriebnahme war aber auch für die Personale ein Greuel. Erst durch die sukzessive „Germanisierung“ der Loks, konnte eine halbwegs zuverlässige Maschine daraus werden, Ausfälle blieben aber weiter eher Regel als Ausnahme. Mit der Auslieferung von 119 200 endete 1985 nach neun Jahren die 119-Produktion. Zu diesem Zeitpunkt fielen die beiden Baumuster 119 001 und 002 schon dem Schneidbrenner zum Opfer. Nach der Wende konnten zahlreiche im RAW Chemnitz „auf dem Rand“ stehende 119-Wracks nochmals einen zweiten Frühling erleben, denn Ersatzteile gab es nun in Hülle und Fülle. Allerdings währte der Höhenflug der seit 1992 als Baureihe 219 bezeichneten U-Boote nur noch ein Jahrzehnt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden schnellstmöglich alle Maschinen aus dem Verkehr gezogen. Eine Hand voll Loks überlebte bei DB-Töchtern oder als Museumsstück.
Geschichte
Aufgrund eines RGW-Beschlusses (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) durften Großdieselloks (mit mehr als 1500 PS Leistung) ab 1976 nicht mehr in der DDR produziert werden. Die Nachfolgerin der BR 118 musste deshalb zwangsläufig aus einem „Bruderland“ importiert werden. Die (D)DR hätte mit den Erfahrungen aus der BR 118 sicher die bessere 119 bauen können!
Wichtige Kriterien bei der Konzeption waren die geringe Achslast (16 t) und die elektrische Zugheizung. Schließlich wurde die Bukarester Lokfabrik „23. August“ mit der Produktion beauftragt. Einige Komponenten wurden aus anderen Ländern zugeliefert (z. B. die Strömungsgetriebe aus der DDR). Die Probleme bei der Inbetriebnahme gingen über „Kinderkrankheiten“ hinaus. Nach und nach wurde ein Großteil der Technik umgebaut und „eingedeutscht“, u. a. die Motoren und die Achsaufhängung. Aus Mangel an Ersatzteilen wurden einige Loks schon nach kurzer Einsatzzeit zu Ersatzteilspendern degradiert. Erst nach 1990 konnten die zum Teil jahrelang im RAW Chemnitz vor sich hin gammelnden Loks reaktiviert werden. Die Fahrzeuge erhielten ab 1988 nochmals neue Motoren, die jüngste 12 KVD-Variante (A5), verbunden mit nochmaliger Leistungssteigerung. Außerdem wurde ein Großteil der Loks ab 1994 mit Zeitmultiplexer Wendezugsteuerung (ZWS) und – sofern nicht schon vorhanden – Doppeltraktionssteuerung (ZDS) ausgerüstet. Die Aufteilung der DB AG in Geschäftsbereiche brachte ab 1998 die Zuordnung zu DB Regio und damit den (fast vollständigen) Wegfall von Güterzugleistungen. Durch den harten Wendezugdienst mit „ständigem Auf und Ab zwischen Leerlauf und Höchstdrehzahl“ stiegen die Ausfälle wieder an, Motorbrände waren keine Seltenheit. Ab 2000 schrumpften die Einsatzgebiete durch die Beschaffung neuer Triebwagen und die Privatisierung oder Stilllegung von Strecken rapide. Die letzten Hauptuntersuchungen an 219ern wurden im Sommer 2000 im Werk Chemnitz ausgeführt. Ab 2002 begann die organisierte Verschrottung in Köln, Espenhain und Chemnitz.
Die Baureihe 229
Zwanzig Maschinen wurden ab 1992 bei Krupp in Essen besonders aufwändig modernisiert. Sie erhielten leistungsstärkere Motoren (MTU) und die Höchstgeschwindigkeit konnte von 120 auf 140 km/h gesteigert werden. Die Loks wurden zunächst im Intercity-Verkehr von Berlin (Bw Pankow) aus eingesetzt. Bis 1995 waren die gröbsten „Fahrdrahtlücken“ im Fernverkehrsnetz geschlossen, sodass die Maschinen nach Erfurt umstationiert wurden. Hier gab es nun überwiegend Nahverkehrsaufgaben und einzelne Interregio-Leistungen zu bespannen. 2000-2001 wurden alle 229 nach nicht einmal einem Jahrzehnt Einsatzzeit abgestellt. Einzelne Maschinen fanden im Güter- und Bauzugdienst bei DB-Tochterunternehmen ein neues Aufgabengebiet. Ein Verkauf an private Eisenbahnverkehrsunternehmen war damals verpönt und so wanderten die teuren Loks mehrheitlich in den Schrott.
Der Prototyp 219 158
1999 bis 2001 entwickelte das DB Cargo-Werk Chemnitz eine nochmals völlig modernisierte Variante der Baureihe 219 mit u. a. modernen Führerständen, Caterpillar-Dieselmotoren (je 1500 kW) und Fahrgastinformationssystem (digitale Zugzielanzeige). Der Umbau erfolgte an der Unfalllok 219 158. Als die Lok ihre ersten Probefahrten absolvierte, war aber schon klar, dass den sechsachsigen Großdieselloks kein dritter Frühling mehr vergönnt sein würde. DB Regio zog die Beschaffung neuer Triebwagen vor. 219 158 wechselte, abgesehen von Probefahrten, ohne einen regulären Einsatz in den Bestand des DB-Museums Nürnberg und erhielt 2003 eine Lackierung im DR-Farbschema (Auslieferungszustand mit schwarzem Rahmen). Immerhin ist „Goliath“ auch im Jahr 2015 noch vor Sonderzügen im Einsatz.
Die letzten Einsatzgebiete
Im Jahr 2000 waren U-Boote noch in den Werken Chemnitz, Cottbus, Erfurt (BR 229), Gera, Görlitz, Halberstadt, Leipzig Süd und Rostock zu Hause. Der Stern der Baureihe befand sich jedoch im Sturzflug, denn im Juli 2000 endete mit 219 091 und 219 025 die Durchführung von Hauptuntersuchungen. Mitte 2001 löste man das Werk Chemnitz auf und gab den Bestand an Leipzig Süd ab, ehe ein Jahr später auch dort die 219-Beheimatung aufgegeben wurde. Halberstadt und Görlitz hatten bis Ende 2002 nur noch einzelne Exemplare im aktiven Bestand. Auch in Rostock wurden die 219 im Jahr 2001 überflüssig. Erfurt erhielt mit der Auflösung des Werks Gera dessen Restbestände ab Juli 2002 und wurde zum Auslauf-Bw. (Details zu den letzten Tagen in Cottbus und Erfurt s. „Abschied“)
Halberstadt (1983-1989, 1998-2002)
Die zweite Beheimatungsperiode der 219 in Halberstadt hatte die Relation Magdeburg – Halberstadt – Thale als Kerneinsatzgebiet. Ab 2001 drängte die BR 218 in das 219-Revier ein. 2002 waren nur noch 219 165 und 197 aktiv, welche im Dezember ihren Dienst quittierten.
Cottbus (1998-2003)
Cottbus ist nach Aufgabe des Bh Berlin-Pankow 219-Einsatzstelle geworden. Einsatzstrecken waren u. a. Cottbus – Forst, Angermünde – Schwedt (Oder) und Berlin-Lichtenberg – Küstrin-Kietz. Am 14.12.2002 endete der Planeinsatz. Als eiserne Reserve wurden drei Loks noch bis Mitte 2003 vorgehalten.
Leipzig Süd (1999-2002)
Zum 1. Juni 1999 erhielt die Messestadt einen Großteil der Chemnitzer Loks. Leipziger Personal war aber schon ab 1996 auf deren 219ern aktiv. Der Personenzugverkehr nach Meißen via Döbeln/Nossen und der „Bäderexpress“ nach Bad Brambach sowie der mit Chemnitzer Loks geteilte RE-Verkehr zwischen beiden sächsischen Großstädten waren die Einsatzschwerpunkte.
Chemnitz (1993-2001)
Nach Dresden und Aue erhielt Chemnitz als dritte Dienststelle der Rbd Dresden zu Jahresbeginn 1993 die ersten 219. Stammleistungen waren u.a. der Kesselganzzugverkehr von/nach Hartmannsdorf (b. Chemnitz) und die RSB/RE nach Leipzig. 1998 bis 2000 kamen die U-Boote auch planmäßig auf der Flöhatalbahn nach Neuhausen und Marienberg im RB-Verkehr. Bis 1998 waren die Loks auch häufig im Güterverkehr (Cargo-Bedienung) auf den Nebenbahnen rund um Chemnitz anzutreffen. Mit der Auflösung des Standortes im Juni 2001 wurden die verbliebenen 219 nach Leipzig Süd abgegeben oder direkt ausgemustert. Für die Statistik: Der Prototyp 219 158 war noch bis Sommer 2003 offiziell in Chemnitz stationiert.
Görlitz (1994-2002)
Nachdem das Bw Zittau ab 1994 dem Bh Görlitz angegliedert wurde, waren hier 219 stationiert. Die Einsatzgebiete blieben davon unberührt (u.a. Zittau – Dresden/– Görlitz, Görlitz – Dresden/– Cottbus/– Hoyerswerda). Die Beschaffung von VT 612 und 642 und die Stilllegung bzw. Privatisierung von Nebenstrecken machten die Loks schließlich entbehrlich.
Gera (1981-1995, 1999-2002)
Als Ablösung der BR 118 kam die 119 ab 1981 u. a. nach Saalfeld, Leipzig, Mehltheuer und Greiz zum Einsatz. Eine bekannte Leistung war der Schnellzug D 900/903 (Dresden – Katzhütte), der ab Glauchau mit 119 bespannt wurde. Zwischen Mai 1995 und März 1999 wurde der Bestand an das Bh Saalfeld abgegeben und anschließend wieder übernommen. Auf die Einsatzgebiete hatte das keinen merklichen Einfluss. Am 1. Juli 2002 wurden die letzten Loks nochmals nach Erfurt umstationiert. Im Laufe des Jahres 2002 waren die meisten Stammstrecken schon fest in der Hand von VT 642 und 612.
Erfurt (BR 229: 1995-2001; BR 219: 1998-2001, 2002-2015)
Im Frühjahr 1995 bekam Erfurt alle 20 Berliner 229 und setzte diese im RE- und IR-Verkehr ein (u. a. Weimar – Chemnitz und Erfurt – Schweinfurt). Der 229-Planeinsatz endete mit dem Fahrplanwechsel am 9. Juni 2001 und der Einstellung des Interregio „Rennsteig“ (2403/2402). Wenig später wurden alle Loks abgestellt.
Die 219-Beheimatung begann im Mai 1998 mit der Übernahme von Saalfelder Maschinen, welche u. a. zwischen Meiningen und Eisenach die 202 und 232 verdrängten. Ab 1999 wurde die BR 213 zwischen Erfurt und Ilmenau ersetzt. Nach einjähriger Abstinenz wurde dem Bh Erfurt am 1. Juli 2002 schließlich wieder die 219-Stationierung zu Eigen. Ab 2003 war Erfurt schließlich das letzte 219-Reservat von DB Regio. 219 084 wurde noch gut elf Jahre als „Mädchen für alles“ in Erfurt betriebsfähig vorgehalten.
Abschied auf Raten
Bei keiner anderen Baureihe der modernen Traktion in dieser Größenordnung (stückzahlenmäßig) dürfte es einen so rigorosen „Ausrottungsprozess“ gegeben haben. Ähnlich erging es seinerzeit höchstens der Ellokbaureihe 150 der ehemaligen Deutschen Bundesbahn. Der DB AG passte die zweimotorige Streckendiesellok aus Ost(block)produktion nicht mehr ins Konzept. Auch nicht die für teuer Geld 1992/93 völlig neu aufgebauten 229, welche schon 2001 abgestellt worden sind. Waren im Jahr 2000 noch etwa 140 Maschinen (zzgl. den 20 229ern) im Unterhaltungsbestand, schrumpfte die Zahl bis Jahresbeginn 2003 etwa auf ein dutzend aktiver Maschinen, die sich auf die Werke Cottbus und Erfurt verteilten. Die abgestellten Maschinen aus Leipzig Süd, Halberstadt, und Gera/Erfurt wurden zumeist nach wenigen Wochen oder nur Tagen Abstellzeit zur Verschrottung nach Köln-Deutz oder Espenhain abgefahren. Wenige Maschinen zerlegte man in den Werken vor Ort, so 219 004 in Leipzig Süd und 219 006 in Gera. Im AW Chemnitz wartete Anfang 2003 noch eine Reihe von 219/229ern, welche schon länger abgestellt waren, auf ihr Schicksal.
Cottbus hatte mit Planwechsel zum 15.12.2002 seine letzten 219-Planleistungen zwischen Angermünde und Stettin/– Schwedt verloren. 219 043, 074 und 112 waren noch als eiserne Reserve vorhanden.
Auch das Werk Erfurt hatte Anfang 2003 zunächst keine 219-Leistungen mehr. Vorgehalten wurden damals noch 219 029, 059, 084, 125, 139 und 159. Mehrere 612-Ausfälle führten dazu, dass für die 219 im Februar 2003 wieder ein zweitägiger Umlaufplan auf der Holzlandbahn Gera – Weimar – Erfurt (sowie ein abendliches Zugpaar Gera – Greiz) erstellt wurde. Die „Fans“ pilgerten nun scharenweise nach Thüringen, bei bestem Winterwetter entstanden sicher viele schöne Aufnahmen.
Nachdem der o. g. Umlaufplan (zwei Plantage) im März offiziell wieder endete, war zumindest eine 219 weiterhin regelmäßig auf der Holzlandbahn anzutreffen, da die VT 612 ebenso unzuverlässig liefen, wie einst ihre Vorgängerin zu Anfangszeiten. Das 219-Internetforum, betrieben vom Halberstädter Stefan Lorenz, war damals eine wichtige Anlaufstelle, um Informationen über aktuelle Einsätze zu erhalten. Im Juni standen mit 219 029, 059, 084, 125 und 159 noch fünf Loks zur Verfügung. Die RE-Einsätze im Holzland gingen im August endgültig zu Ende. 219 084 wurde abgestellt. Die restlichen vier Loks bestritten bis Oktober/November 2003 noch einzelne Sonderleistungen, dann war endgültig Schluss – oder doch nicht?
Einen würdigen 219-Abschied veranstaltete auch DB Regio Erfurt zusammen mit dem TEV Weimar am 11./12.10.2003. Mit einer Parade aus teilweise schon ausgemusterten Loks wurde im Bw Weimar die 219 offiziell verabschiedet.
Die Verschrottung
Die organisierte Verschrottung von ganzen Lokzügen der Baureihe 219 begann im Jahr 2002 in Espenhain. Dort wurden nahezu alle Leipziger und Geraer, sowie einige Chemnitzer und Erfurter Loks zerlegt. Die Halberstädter und Cottbuser Loks wanderten nach Köln-Deutz zur Zerlegung im Hafen und die schon seit 2000 durch einen Unfall in Ilmenau stark beschädigte 219 040 wurde 2004 in Erfurt-Nord zerschnitten. Im August 2003 begann auch im AW Chemnitz die Verschrottung von den verbliebenen 219. Bis Oktober wurden dort 219 009, 017, 021, 034, 037, 042, 049, 072, 075, 109, 119, 134, 135, 142, 143, 161, 164, 180, 196 und 200 liquidiert. Anschließend ging es auch den „Edel-U-Booten“ 229 102, 106, 113, 144, 170, 171 und 193 an den Kragen. In Espenhain wurden schließlich 229 118, 128 und 186 ins Jenseits befördert.
Erhaltene Exemplare
Neben den schon gezeigten 219 003, 219 084 und „119 158“ haben einige weitere 219/229 überlebt. Zum Jahreswechsel 2001/02 übernahm die Mitteldeutsche Eisenbahn GmbH (MEG) zunächst 229 120 und 173, sowie 229 184 und 199 als Ersatzteilspender. DB Bahnbau holte Anfang 2003 229 100, 126, 147 und 181 aus der Abstellung und verpasste ihnen ein zitronengelbes Farbkleid. 229 100 kam jedoch nur noch wenige Monate bis Fristablauf zum Einsatz, während die anderen drei Maschinen im Werk Chemnitz nochmals eine Hauptuntersuchung erhielten. Der Thüringer Eisenbahnverein e.V. im ehemaligen Bw Weimar (TEV) entwickelte sich ab 2003 zu einer musealen Heimstätte für weitere 229er. 229 188 wurde als offizielle DB-Museumslok hier untergestellt und erhielt eine Lackauffrischung. Ebenso trafen 2006 bzw. 2008 die nicht mehr benötigten 229 100 (bis 09/2015) und 199 hier ein. Schließlich wurde der zweite Ersatzteilspender der MEG, 229 184, im Jahr 2013 zu dem Verein Geraer Eisenbahnwelten e.V. ins ehemalige Bw überführt. 219 084 hat seit Juni 2015 ebenfalls beim TEV Weimar ihre Ruhestätte gefunden. 229 147 ist nun wieder im Ur-229-Farbkleid für Cargo Logistik Rail Service GmbH (CLR) im Einsatz, 229 181 wird ihr nachfolgen.
Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass die U-Boote bei Eisenbahnern und Eisenbahnfreunden eine doch recht große Fangemeinde besitzen. Es konnten einzelne Exemplare vor dem Schneidbrenner gerettet werden und die Einsätze der letzten aktiven Vertreter werden lückenlos dokumentiert. So schlecht, wie sie häufig geredet wird, war und ist die 119/219/229 eben doch nicht gewesen. Schließlich hat sich auch bei ihrer Ablösung gezeigt, dass die heutigen „Qualitätsprodukte“ oft nicht minder unzuverlässig bei der Indienststellung waren bzw. sind. Bleibt zu hoffen, dass den letzten U-Booten noch ein langes (aktives) Leben beschieden sein wird. Ahoi!
© 2014-15 MBC