Abwechslung am Hartmannsdorfer Kesselzug

Einleitung

Am 4. April 1872 ging die 6,5 Kilometer lange Zweigbahn zwischen Wittgensdorf oberer Bahnhof und Limbach (Sachs) mit der Zwischenstation Hartmannsdorf (b. Chemnitz) in Betrieb. 100 Jahre später errichtete der VEB Minol in Höhe des Hartmannsdorfer Bahnhofs ostseitig ein Großtanklager mit großzügigen Gleisanlagen. Auch der Hartmannsdorfer Bahnhof wurde im Zuge dessen umgestaltet und erhielt ein neues Stellwerk.

Bis zu sechs Kesselganzzüge mit Diesel, Benzin oder Heizöl erreichten das Tanklager pro Tag zu DDR-Zeiten. Die Traktion oblag zumeist den Baureihen 50, 50.35, 118 und 132. Für den Verschub im Werksgelände standen mehrere Rangierloks (V 22, V 60D) zur Verfügung, die man sich mit der Gießerei „Rudolf Harlaß“ teilte.

Seit 1997 hat eine Pipeline von Leuna die Aufgabe der Kraftstoffzufuhr übernommen. Ganzzüge verkehren seither nur noch sporadisch. Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte kam vor den Kesselzügen eine Vielzahl an Diesellokomotiven zum Einsatz. Darüber soll im Folgenden ein Überblick geboten werden, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

BR 219

[1] An einem Apriltag des Jahres 1999 fahren 219 071 und 092 in den Bahnhof Küchwald ein. Ob es sich wirklich um einen Hartmannsdorfer Kesselzug handelt, kann ich nicht mehr sicher sagen. Allerdings ist die 219-Doppeltraktion Mitte der 1990er-Jahre die typische Bespannung der Züge gewesen.

BR 204

[2] 204 860 und 592 sind am 3. Oktober 2002 mit Rangierarbeiten in Hartmannsdorf beschäftigt. Rechts hinter dem Bewuchs ist der Werklokschuppen zu erahnen, der bis 2007 existierte.
[3] Am selben Tag sind die beiden V 100 mit einem Leerzug auf dem Rückweg in Wittgensdorf oberer Bahnhof zu sehen.

BR 232 / 241 / 241.8

Schon zu (D)DR-Zeiten kam die Baureihe 132 (ab 1992: 232) vor Kesselzügen nach Hartmannsdorf zum Einsatz. Ab 2005 sah man dies wieder ab und an. Auch die leistungsmäßig aufgerüstete Baureihe 241 bespannte zwischen 2005 und 2009 mehrmals diese Leistung.

[4] Eine Doppeltraktion aus 232 352 und 673 brachte am 6. Juni 2008 einen Leerzug von Hartmannsdorf in Richtung Chemnitz über das Bahrebachtal.
[5] Auch eine Woche später (13.06.2008) waren 232 352 und 673 für diese Leistung eingeteilt. Der Zug steht noch im Tanklager. Die in Bildmitte sichtbare 294 407 wird ihn bald bereitstellen. Unterdessen verlässt 294 576 mit der Übergabe nach Chemnitz Süd die Szenerie. Neben den Flüssiggaskesselwagen ist auch ein Schadwagen des Ganzzuges eingereiht.
[6] Im Glanze der untergehenden Sonne des 29. Dezember 2008 verlässt 241 338 mit einem Leerzug Hartmannsdorf.
[7] Von den fünf ursprünglich für den Grenzverkehr nach Belgien umgerüsteten 241.8 kamen zwei Maschinen im Frühjahr 2009 vereinzelt nach Hartmannsdorf zum Einsatz. Am 9. April 2009 erreicht 241 804 mit einem Vollzug den Bahnhof. Links ist das Empfangsgebäude zu sehen, das sich jenseits der Bahnhofstraße befindet.
[8] Nach langer Pause erreichte am 26. März 2020 wieder ein von sowjetischer Technik angeführter Kesselzug das Tanklager. 132 426 der Nossen-Riesaer Eisenbahn-Compagnie GmbH (NRE) übernahm auch den Verschub in den Anschluss selbst. Der Prellbock rechts markiert den ehemaligen Standort des Werklokschuppens.

BR 294 / 362 / 363 (als Rangierlok)

Eigene Rangierloks besitzt das Tanklager bereits seit 1996 keine mehr. Da man seitens DB Cargo (oder wie sie sich damals gerade nannten) ungern mit den dieselelektrischen 232/241 in den Anschluss fuhr, orderte man eine zusätzliche Rangierlok. Insbesondere während der „Kesselzugschwemme“ im Mai/Juni 2008 war 294 407 wochentags als Verschubgerät in Hartmannsdorf stationiert. 2009 kamen zu diesem Zweck „Dreibeine“ der Baureihen 362/363 zum Zuge.

[9] Im Mai 2008 war 294 407 Stammgast in Hartmannsdorf. Am 7. Mai rangiert sie den ersten Zugteil in den Anschluss. Aufgrund der begrenzten Ausziehgleislänge muss jeder Ganzzug in drei Teilen zugestellt werden. 294 407 zählte damals mit Originalmotor (MTU MB 12, erkennbar an der niedrigen Ordnungsnummer) und noch fehlendem Rangiergeländer bereits zu einer aussterbenden Gattung. Sie war außerdem die letzte von der Deutschen Bundesbahn beschaffte 290. Erst 1996 reihte man die von der Bundeswehr übernommene 290 999 als 294 408 noch in das DB-Nummernschema darüber ein.
[10] Zwei Züge verschiedener Eisenbahnverkehrsunternehmen erreichten am 9. April 2009 das Großtanklager. 362 571 rangiert den Zug von DB Schenker Rail in die Entladung. Ein interessantes Detail ist das Andreaskreuz, das nach alter DDR-Straßenverkehrsordnung einen mehrgleisigen Bahnübergang kennzeichnet.
[11] Am 13. Februar 2009 war es 363 105, welche den Leerzug bereitstellte. 241 805 wird ihn später abholen. Das Gebäude links im Hintergrund ist das ehemalige Trocknungslager der Getreidewirtschaft Karl-Marx-Stadt, das einen Gleisanschluss besaß. Es machte im Jahr 2018 Bekanntschaft mit der Abrissbirne.

BR 228

[12] Das andere Zugpaar am 9. April 2009 war das erste unter der Regie der InfraLeuna GmbH, das ich beobachten konnte. Als Zugpferd fungierte jeweils Lok 204, hinter der sich die LKM-Nummer 280163 verbirgt. Sie wurde 1969 direkt an den VEB Leuna-Werke geliefert. Mit dem Leerzug verließ sie den oberen Bahnhof von Wittgensdorf. Der Güterschuppen (links) stand noch bis 2012.
[13] Beide V 180 der InfraLeuna GmbH kamen am 19. Juni 2009 zum Einsatz. Zu sehen ist der Leerzug auf dem Bahrebachviadukt. Es zieht Lok 205 (LKM 280164). Am Zugschluss ist die bereits gezeigte Lok 204 zu erkennen.

BR 293 (V 100.4)

[14] Von der modernisierten LEW-V100-Variante ist nur ein Einsatz überliefert. Die 133 alias 293 906 (LEW 16676) kam am 9. April 2009 als Schub- und Rangierlok zum Einsatz. Auch diese Lok wurde ab Werk 1981 direkt an den VEB Leuna-Werke geliefert. Mitte 2000 wurde sie in den Regental-Fahrzeugwerkstätten in Reichenbach (Vogtl) von ADtranz modernisiert und remotorisiert, kurz vor der Schließung dieses Standortes.

BR 275 (MaK G 1206)

Seit 2010 zählen die G 1206 der InfraLeuna GmbH zur Standardbespannung der Hartmannsdorfer Kesselverkehre. Keine andere Baureihe kommt seither so häufig vor dieser Leistung zum Einsatz.

[15] Ein Farbtupfer im G 1206-Bestand der InfraLeuna war die einen Monat lang angemietete 275 023. Am 8. März 2016 verließ sie gemeinsam mit 275 014 (211) den Bahnhof Küchwald in Richtung Leuna.
[16] Die Zu- und Abfuhr der Kesselzüge der InfraLeuna erfolgt in den meisten Fällen über Geithain/Neukieritzsch. Die Züge fahren bis in den Betriebsbahnhof Küchwald zum Richtungswechsel. 275 013 (210) und 275 010 (207) fahren mit einem entleerten Zug aus Hartmannsdorf in Küchwald ein (22.07.2019). Der Standort des Fotografen ist nahezu identisch mit dem von Aufnahme [1].

BR 263 (Voith Maxima 30 CC)

Im Frühjahr 2013 kam 263 006 mehrmals vor den Kesselzügen zum Einsatz. In diesem Jahr war sie von InfraLeuna angemietet worden.

[17] Häufig warten die Leerzüge in Hartmannsdorf mehrere Stunden auf die Abfahrt, weil noch kein Fahrplan existiert bzw. vorliegt, so auch am 20. März 2013.
[18] Auch am Abend des 16. April 2013 brachte 263 006 nachmittags einen Zug nach Hartmannsdorf. Links ist zu sehen, wie man 2008 die Straßenführung zur B 95 geändert hat. Es geht nun links herum am Steinbruch vorbei, während geradeaus eine verjüngte Sackgasse liegt.

BR 223 (Siemens ER 20 / DE 2000)

[19] Im Mai 2014 mischten die EBB PRESS/IntEgro/MTEG kurzzeitig im Hartmannsdorfer Kesselverkehr mit. 223 144 holt am 19. Mai 2014 einen Leerzug ab. Zwei Tage später kamen zwei PRESS-204 und 118 770 zum Einsatz.

BR 251 (Vossloh DE 2700 vormals MaK/Siemens ME 26)

[20] Auch die wuchtige sechsachsige ME 26 bekam ihre Einsatzzeit vor unserem Kessel. In der zweiten Jahreshälfte 2015 sah man 251 011 (DE 2700-09) einige Wochen vor den Ganzzügen. Ein Glückstreffer gelang mir am Vormittag des 5. Oktober 2015 als sie mit einem Vollzug durch den Haltepunkt Chemnitz-Borna fuhr.

BR 272 (Vossloh G 2000-2 BB)

Mitte 2017 kam es wieder zu vermehrtem Ganzzugverkehr nach Hartmannsdorf. Dabei kam auch vereinzelt die Baureihe 272 zum Einsatz, was ich jedoch nicht dokumentieren konnte. André Hansch hingegen schon:

[21] Am 30. Juni 2017 eilt 272 204 mit dem Leerzug durch Wittgensdorf oberer Bahnhof nordwärts.
[22] Mit 272 205 war am 8. August 2017 eine zweite Maschine dieser Baureihe vor einem Leerzug in Wittgensdorf oberer Bahnhof zu sehen.

BR 247 (Siemens Vectron DE)

[23] Geballten Ganzzugverkehr gab es im Sommer 2017. Erstmals kam der dieselelektrische Vectron – der Nachfolger des ER 20 aus dem Hause Siemens – zu Einsätzen. 247 907 ist das einzige Exemplar im Bestand der InfraLeuna GmbH. Am Nachmittag des 3. Juli 2017 befährt sie mit einigen Leerwagen die Spitzkehre vom Anschluss Großtanklager in den Bahnhof.
[24] Ganz rund lief es für die Neue nicht. Am 25. Juli 2017 stand sie schadhaft auf dem Rand, während die angemietete 247 908 ihre Aufgabe übernahm, einen Leerzug abzuholen. 247 908 fährt mittlerweile in blauer Beklebung für RDC Autozug Sylt. Links ist die ehemalige Werklok (LKM 262446) des Rohr- und Kaltwalzwerkes Chemnitz-Reichenhain zu sehen. Ein kleiner Verein hat seit 2014 die verwaisten Anlagen des nicht vom Tanklager genutzten Bahnhofsteils inklusive Stellwerksgebäude wiederbelebt.

BR 221

[25] Ein neues Gesicht vor den Hartmannsdorfer Zügen, das dennoch vertraut ist. Die legendäre Bundesbahn-V 200, in Form der (remotorisierten) 221 147 von Flex Bahndienstleistungen teilt sich gemeinsam mit G 1206 der InfraLeuna das Kesselzuggeschäft im Mai/Juni’21. Die Vollzüge kamen mit einer oder zwei Elloks von HectorRail bis Chemnitz Hbf. Die 221 brachte den Zug dann in zwei Teilen zum Tanklager. Am Morgen des 2. Juni 2021 erreichte die V 200 mit dem ersten Zugteil aus Chemnitz Hbf den oberen Bahnhof von Wittgensdorf. Die Bahnsteige sind im November 2017 entfernt worden.
[26] Zwei Wochen später, am 17. Juni 2021, erfolgte die Ankunft der vollen Zugteile relativ spät am Tag. 221 147 erreicht mit dem zweiten Zugteil kurz vor halb fünf Uhr den Hartmannsdorfer Bahnhof. Der Güterschuppen zeigt sich zum Kleinlokschuppen umfunktioniert.

Abkürzungen

BB = Achsfolge, 2*2 Treibachsen
BR = (Lokomotiv-)Baureihe
CC = Achsfolge, 2*3 Treibachsen
DE = dieselelektrisch
EBB PRESS = Eisenbahn-, Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn mbH
ER = Eurorunner
LEW = Lokomotivbau Elektrotechnische Werke „Hans Beimler“ Hennigsdorf
LKM = Lokomotivbau „Karl Marx“ Babelsberg
MaK = Maschinenbau Kiel
MTEG = Muldental-Eisenbahnverkehrsgesellschaft mbH
RDC = Railroad Development Corporation
VEB = Volkseigener Betrieb (Rechtsform in SBZ und DDR für Industrie- und Dienstleistungsbetriebe)

Link

Bild- und Videobericht von André Hansch über den Kesselzugverkehr im Juni/Juli 2017 mit Hintergrundinfos: InfraLeuna pur – Verstärkter Kesselverkehr nach Hartmannsdorf – Hanschers Eisenbahnseite (hobbyreichsbahner.de)

© 2021 MBC

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