150 Jahre Bahnlinie Nossen – Freiberg

Die rund 24 km lange Verbindung von Nossen nach Freiberg war von Beginn an als Teil einer ins Nachbarland Böhmen führenden Linie konzipiert. (Der Abschnitt Freiberg – Moldau ist sukzessive bis 1885 realisiert worden.) Die Bauarbeiten begannen im Januar 1872 und waren Mitte 1873 weitgehend vollendet. Die Konzession für den Bau und Betrieb erhielt die Leipzig-Dresdner Eisenbahn-Compagnie (LDE) im Oktober 1871. Dies spiegelt sich u. a. in der Architektur der Empfangsgebäude von Großvoigtsberg, Großschirma und Kleinwaltersdorf im typischen „LDE-Stil“ wider. Die Trassierung erfolgte relativ geradlinig und tangierte viele Ortschaften nur peripher, was vor allem in Siebenlehn für Unmut sorgte.[a] Die feierliche Inbetriebnahme datiert auf den 15. Juli 1873. In den ersten Betriebsjahren hatte die Strecke den Status einer eingleisigen Hauptbahn.

Am 25. September 1977 wurde der Personenverkehr eingestellt. Der Güterverkehr verringerte sich in den 1990er-Jahren schlagartig. Das Getreidelager in Großschirma ist heute der letzte Güterkunde. Im Vergleich zu manch anderer Nebenbahn entkam die Strecke bis heute der dauerhaften Stilllegung. Schon mehrmals hatte man voraussichtliche Abschiedsfahrten veranstaltet. Insbesondere in den Jahren 2000 bis 2005 schwebte das Aus wie ein Damoklesschwert über der Linie. Im November 2005 pachtete die Regio Infra Service Sachsen GmbH (RISS) die Strecke für 20 Jahre und wendete das drohende Ende ab. Seit Oktober 2020 fand jedoch kein durchgängiger Zugverkehr mehr statt, da der Streckenzustand zwischen Nossen und Großvoigtsberg sanierungsbedürftig ist. Dem öffentlichen Vernehmen nach möchte die RISS die Strecke abgeben. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.[e]

Bahnhof Nossen (km 0,0 NM / km 73,4 BC)

[1] Der Reiseverkehr endete schon 1977, doch bis in die junge Vergangenheit konnten häufig interessante Sonderleistungen auf der Jubiläumslinie beobachtet werden, wovon die folgende Galerie zeugen soll. Beginnen wir in Nossen, wo am 29. Juni 2009 ein Leerreisezug mit 232 158 der LEG einrollte. Der Anlass waren Dreharbeiten für die Filmproduktion „Go West – Freiheit um jeden Preis“ im Bahnhof Nossen, an der u. a. die Mimen Frederick Lau und Franz Dinda mitwirkten. Schon 2008/2009 wurden Pressestimmen laut, die RISS wolle die Strecke wieder abgeben. Die Einnahmen durch die Dreharbeiten wendeten dies u. a. ab.[b]
[2] Im Bahnhof Nossen hatte die Freiberger Strecke ihren eigenen Bahnsteig mit Umfahrgleis. Das Bahnsteiggleis endet stumpf vor dem Empfangsgebäude. Am 17. Februar 2007 konnte man hier umsteigen: 642 544 fuhr nach Meißen, 772 367 als „Ski- und Wanderexpress“ nach Freiberg. Seit 13. Dezember 2015 gibt es in Nossen gar keinen schienengebundenen Nahverkehr mehr.
[3] Unweit der Reste des Klosters Altzella errichtete man 2006 einen gleichnamigen Haltepunkt für Sonderreisezüge. Den sich daran anschließenden Bahnübergang Waldheimer Straße sicherte ab 1972 eine automatische Halbschrankenanlage. Diese löste den letzten handbedienten Schrankenposten ab. 229 120 war am 18. September 2010 mit einer Mitarbeiterausfahrt nach Freiberg unterwegs.
[4] Bei km 3,57 befand sich der Posten NM 2. NM ist seit 1885 das Kürzel der Strecke und steht für Nossen – Moldau. 1880 bis 1885 war hingegen das Kürzel NB (Nossen – Bienenmühle) in Gebrauch.

Haltepunkt Zellwald (km 5,02 NM); Ldst Zellwald (km 5,14 NM)

Die Ladestelle ging im Juli 1875 in Betrieb. Sie zweigte unmittelbar nach dem späteren Haltepunkt in Richtung Freiberg rechts ab. Das Zweiggleis diente u. a. einem ansässigen Sägewerk. Der Haltepunkt war ab 15. Mai 1938 zunächst als Bedarfshaltestelle für den Reichsautobahnbau eingerichtet worden. Im April 1942 erfolgte die Freigabe für den öffentlichen Reiseverkehr.

[5] Der Haltepunkt Zellwald befindet sich unterhalb der Bundesautobahn 4 und zwei Kilometer westlich von Siebenlehn. 172 132 und 172 171 legten am 13. Juni 2010 einen (Foto-)Halt ein.
[6] Eine DMV-Sonderfahrt brachte die Hartmann-Schönheiten 75 515 und 38 308 im Juni 1970 noch einmal in heimische Gefilde. Bei einem Aufenthalt im Haltepunkt Zellwald entstand diese Aufnahme.
[7] In stetig ansteigender Weise nähert sich 772 367 dem Rand des Zellwaldes (17.02.2007).

Bahnhof Großvoigtsberg (km 10,22 NM)

Die größte Zwischenstation der Zellwaldbahn ging zunächst als Haltestelle in Betrieb und wurde im Mai 1905 zum Bahnhof erhoben. Im Rahmen des Rationalisierungsprogramms der DDR konzentrierte man Ende der 1960er-Jahre den Güterumschlag entlang der Zellwaldbahn auf den „Knotenbahnhof“ Großvoigtsberg. Im Bahnhofsbereich befanden sich mehrere Gleisanschlüsse, u. a. für das ACZ, einen Kohlenhandel und die BHG. Im Februar 1995 erfolgte die betriebliche Herabstufung zur Anschlussstelle. Der Güterumschlag endete im Mai 1997 als zwei Wagen mit Stammholz beladen worden sind.[c] 1993 gründete sich die BSW-Gruppe „IG Dampflok Nossen“. Die später daraus hervorgegangene BSW-Gruppe „Museumsbahnhof Großvoigtsberg“ setzte sich zum Ziel, den Bahnhof museal zu erhalten und die Strecke für Sonderfahrten zu nutzen. Dies mündete 2009 in die Gründung des Förderverein Zellwaldbahn e.V., welcher das Bahnhofsgebäude 2012 von der DB AG käuflich erwarb. Unter den seit 1996/1999 denkmalgeschützten Bahnhofsanlagen befindet sich auch ein intaktes Kurbelwerk von 1899.

[8] Am 18. Oktober 2008 befuhr die Interessengemeinschaft zur Bereisung von Straßenbahn- und Eisenbahnstrecken e.V. (IBSE) mit dem VT 3.02 (alias 650 056 „Hannah“) der Freiberger Eisenbahn u. a. die Zellwaldbahn. Die nördlichen Ausfahrsignale des Bahnhofs Großvoigtsberg dienten als Kulisse. Links vom Bild der Anschluss Fa. Ralle Landmaschinenbau und Agrochemisches Zentrum (ACZ).
[9] Der größte Bahnhof der Jubiläumslinie soll auch den Schwerpunkt dieses Beitrages bilden. Die Bahnhofsanlagen befinden sich in der Obhut des Förderverein Zellwaldbahn e.V. Zeitweise waren hier auch Kleinloks und einige Güter-/Bahndienstwagen ausgestellt, was 2023 allerdings nicht mehr der Fall ist. Links ist die V10B LKM-Nr. 252364 erkennbar, die aus Roßwein stammt und 2009 bis 2021 hier ausgestellt war. Sie steht heute im ehemaligen Bahnhof Halsbrücke. Nur selten gab es im 21. Jahrhundert Umleiterverkehre via NM. Am 23. Juni 2016 war 294 827 jedoch mit der Übergabe EK 55215 vom Tanklager Rhäsa in Richtung Freiberg unterwegs.
[10] Seine erste Berührung mit der Zellwaldbahn erlebte der Autor im Rahmen einer Sonderfahrt am 18. April 1992. Die Chemnitz-Hilbersdorfer 50 3616 bespannte einen aus drei LOWA-E 5, einem Modernisierungswagen und vier Zwickauer Traditionswagen gebildeten Train. In Großvoigtsberg gab es einen längeren Zwischenhalt.
[11] Am Abend des 15. November 2008 gab sich der „Briefkasten“ 102 188 mit seinem kurzen Sonderzug im Museumsbahnhof ein Stelldichein.
[12] Steffen Tautz organisierte am 13. Juni 2010 eine Fotofahrt mit 172 132 und 172 171 der Traditionsgemeinschaft Ferkeltaxi e.V. In dieser Zeit waren auf vielen Bahnhöfen temporär nicht benötigte Containertragwagen abgestellt, so auch hier.
[13] 2017 bis 2019 sorgte an jeweils einem Juniwochenende der Freiberger Bergstadtexpress anlässlich des gleichnamigen Volksfestes für Betriebsamkeit auf der Zellwaldbahn. 2017 und großenteils auch 2018 wurde der Zuglauf in Großvoigtsberg gebrochen. Das heißt, es musste vom lokbespannten Zug aus Brand-Erbisdorf in den Schienenbus nach Nossen umgestiegen werden bzw. umgekehrt. Begründet wurde dies mit den langen Fahrzeiten zwischen Großvoigtsberg und Nossen aufgrund von Langsamfahrstellen, welche dem Fahrplantakt zuwiderliefen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme fuhren 112 565 und Schlusslok 114 703 aber mit dem Freiberger Zug bis Nossen weiter. Der rechts daneben sichtbare „Nossen-Pendel“ bestehend aus dem Uerdinger 798 625 der Eisenbahnfreunde Zollernbahn e.V. wird ihm später folgen. Rechts ist der Wagen 44 MC 50 DR 20 56919-7 P zu sehen, beschriftet als Privatwagen des VEB Bergbau- und Hüttenkombinat „Albert Funk“ Freiberg, Heimatbahnhof Halsbrücke.[d] Zu diesem kehrte er 2021 zusammen mit der V10B (siehe [9]) zurück.
[14] 2019 fuhr der Bergstadtexpress stets durchgängig. Am Abend des 30. Juni kam 204 005 der EBB PRESS mbH mit zwei Bn-Wagen zum Einsatz.
[15] 2020-2023 ist das Bahnhofsgebäude umfangreich renoviert worden. Die Holzverkleidung wurde dabei entfernt. Zum Bahnhofsfest war u. a. auch die V60D LEW-Nr. 16970 zu Gast, eine 1980 gelieferte Dresdner Werklok. Sie steht gegenwärtig für die ITL Eisenbahngesellschaft mbH, beschildert als 106 623-2, zu Diensten. Am 22. Juli 2023 überführte sie den ORT 188 202 als Ausstellungsobjekt zur 150-Jahrfeier in den Museumsbahnhof. Dabei fungierten zwei Fcs als Bremswagen.
[16] Auf ländlichen Bahnhöfen obligatorisch war der Anschluss der Bäuerlichen Handelsgenossenschaft. Der markante BHG-Schuppen in Großvoigtsberg ist seit Frühjahr 2013 Geschichte. Am 1. Oktober 2006 waren 772 312 und 772 367 als Sonderfahrt in Richtung Freiberg unterwegs.
[17] Anlässlich des 30. Jahrestages der Reiseverkehrseinstellung organisierte die IG Dampflok Nossen e.V. am 22. September 2007 einen stilechten Personenzug, gebildet aus 112 326 der PRESS, zwei Bghw und einem Pwgs 88/Daa des SEM. Am BHG-Schuppen simulierte man eine Ladeszene mit dem Barkas-Kleintransporter.
[18] Die sechs Formsignale des Bahnhofs sind schon seit rund drei Jahrzehnten außer Betrieb. 772 367 passierte am 17. Februar 2007 das südliche Einfahrsignal als „Ski- und Wanderexpress“ nach Freiberg. Unter diesem Namen verkehrten mehrere Zugpaare u. a. 2007 und 2008 an den Februarwochenenden.

Hst Großschirma (km 13,65 NM); Anst BHG/VEB Getreidewirtschaft (km 13,79 NM)

[19] Das EG von Großschirma ist nahezu identisch mit dem Großvoigtsberger. Wir beobachten den Fahrgastwechsel am 17. Februar 2007. Bei der sichtbaren Witterung dürfte es sich eher um Wanderer als Skifahrer handeln oder nutzt man die Ferkeltaxe für einen Bergstadtbummel?
[20] Ein seltenes V100-Treffen ergab sich am 12. Januar 2009: Um 202 481 auf ihrer Spurfahrt aus Richtung Nossen passieren zu lassen, schloss sich 298 326 im Zuge einer Bedienung im Anschluss Getreidelager ein.
[21] Auch Dampflokomotiven waren vor Sonderzügen regelmäßig auf der Zellwaldbahn zugegen. Am 17. Februar 2007 war 52 8047 mit einem Sonderzug der IG Dampflok Nossen e.V. kurz hinter Großschirma gen Freiberg unterwegs und passierte soeben den Bahnübergang mit der Straße nach Langhennersdorf. Rechts erhebt sich der verbliebene Güterkunde der Zellwaldbahn.

Haltepunkt Kleinwaltersdorf (km 18,29 NM)

Bis April 1905 und ab Oktober 1953 hatte die Station den Status einer Haltestelle, zwischenzeitlich den eines Bahnhofs. Ab 1967 war Kleinwaltersdorf für gut eine Dekade lediglich ein Haltepunkt.

[22] Am 27. Mai 1969 hatte Günter Meyer den P 3014 (Nossen – Freiberg) kurz verlassen, um eine Übersichtsaufnahme des Hp Kleinwaltersdorf festzuhalten. Die Hochbauten zeigten sich gepflegt, während von Nebengleisen nichts mehr auszumachen war. Der im Hintergrund sichtbare Güterschuppen wurde 2018 abgebrochen. Das EG steht anno 2023 noch als Ruine in der Landschaft. V100 057 stand zum Zeitpunkt der Aufnahme ein Jahr im Dienst.
[23] An der Ortsgrenze von Kleinschirma (seit 1994 ein Ortsteil von Oberschöna) und Kleinwaltersdorf (seit 1994 ein Stadtteil von Freiberg) wird der Herrenweg niveaugleich gekreuzt. In Fahrtrichtung Freiberg taucht die Strecke anschließend in den Hospitalwald. Am Abend des 24. Juni 2017 war der Bergstadtexpress in Richtung Großvoigtsberg unterwegs.
[24] Bei km 21,55 NM / km 42,62 DW unterquert die Zellwaldbahn die DW-Linie. Rund einen NM-Streckenkilometer später münden beide Strecken niveaugleich in den Bahnhof Freiberg.

Damit beenden wir unsere Bahnfahrt zwischen Nossen und Freiberg und wünschen der Zellwaldbahn eine betriebsame Zukunft!

Ein herzlicher Dank an Siegfried Bergelt und Dr. Manfred Meyer für die zur Verfügung gestellten Aufnahmen!

Abkürzungsverzeichnis

ACZ = Agrochemisches Zentrum
Anst = Anschlussstelle
BC = Strecke Borsdorf – Coswig (b Dresden)
BHG = Bäuerliche Handelsgenossenschaft
BSW = Bahn-Sozialwerk
DMV = Deutscher Modelleisenbahn-Verband (der DDR)
DW = Strecke Dresden – Werdau
EBB PRESS mbH = Eisenbahn-Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn mbH
EG = (Bahnhofs-)Empfangsgebäude
Hst = Haltestelle
Ldst = Ladestelle
LDE = Leipzig-Dresdner Eisenbahn-Compagnie
LEG = Leipziger Eisenbahnverkehrsgesellschaft mbH
LEW = Lokomotivbau Elektrotechnische Werke „Hans Beimler“, Hennigsdorf
LKM = Lokomotivbau „Karl Marx“, Babelsberg
NM = Strecke Nossen – Freiberg – Moldau
ORT = Oberleitungsrevisionstriebwagen
SEM = Sächsisches Eisenbahnmuseum Chemnitz-Hilbersdorf e.V.
VEB = Volkseigener Betrieb (Rechtsform in SBZ und DDR für Industrie- und Dienstleistungsbetriebe)

Quellen & weiterführende Links

Förderverein Zellwaldbahn e.V. | Großvoigtsberg | Sachsen, Germany (fv-zellwaldbahn.de)

[a] Streckenübersicht auf sachsenschiene.de

[b] [ZM] Zellwaldbahn dank Filmdreh gerettet (drehscheibe-online.de)

[c] Bahnhof Großvoigtsberg (eisenbahn-um-nossen.de)

[d] Museumsfahrzeuge Großvoigtsberg (drehscheibe-online.de)

[e] MDR (2023): Eisenbahnfreunde machen Strecke für Zellwaldbahn frei

© 2023 MBC

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