Abschied von einem alten Meister

„Sein Zug hat die Endstation erreicht“ lautet die Überschrift der Traueranzeige. Am 11.11.2015 starb Günter Meyer im gesegneten Alter von 88 Jahren. Meyer war nicht nur ein überaus sympathischer Mensch und Eisenbahner mit Leib und Seele, sondern auch ein bedeutender Chronist der Nachkriegszeit. Seine unzähligen Fotografien vom Eisenbahnbetrieb, seit den frühen 1950er Jahren, sind ein beispielloses Lebenswerk. Mich persönlich hat Meyers fotografische Sicht auf die „Eisenbahn als Ganzes“ stark beeinflusst. Seine Aufnahmen zeigen, neben klassischen Lok-/Wagenportraits, Bahnhofs- und Landschaftsaufnahmen, auch die von vielen übersehenen Details am Rande des Offensichtlichen. Ob verlotterte Wagenkästen, urige Signal- und Gleiskombinationen oder Relikte längst abgebauter Strecken – Meyer hielt drauf. Ein Vergleich vom Schaffen Günter Meyers mit den „Digiknipsern“ der heutigen Zeit ist natürlich vermessen. Nicht nur, dass er alle Reisen in die entlegendsten Winkel selbstverständlich mit der Eisenbahn unternahm, die Fotografie war in Zeiten von Stasi und Trapo ein überaus mutiges Unterfangen. Von den „Annehmlichkeiten“ unserer Zeit, wie Smartphones, Internet und Digitalfotografie, ahnte niemand etwas, und natürlich war die Eisenbahn auch noch eine ganz andere, man ist fast verleitet zu schreiben „bessere“, als heute.

Eine Kondolenzfahrt – stilvoll mit der Baureihe 86

Der Bedeutung Günter Meyers für die Eisenbahnszene gerecht werdend, organisierte die Eisenbahn-, Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn mbH (PRESS) eine interne „Kondolenzfahrt“ von Glauchau über Zwickau nach Aue. Zum Einsatz kam die vor wenigen Monaten von der PRESS übernommene 86 1333. Somit kam nach 16 Jahren, 11 Monaten und 5 Tagen wieder eine 86er aus eigenem Antrieb in Meyers Heimatstadt. Eine Dampflokbaureihe, die wie kaum eine andere den Eisenbahnbetrieb im Erzgebirge geprägt hat. Während der Beisetzung Meyers auf dem Auer Friedhof stand 86 1333 wenige hundert Meter entfernt auf dem ehemaligen zweiten Streckengleis, welches noch als Anschlussgleis der Nickelhütte dient.

Günter Meyer war auch für seine Kreideanschriften zu besonderen Anlässen, wie Jubiläen und Streckenstilllegungen, bekannt. Zu seinen Ehren sollte 86 1333 nun eine derartige Beschriftung erhalten. Am Abend des 16.11.2015 brachten Mike Robeck (li), MBC (re) und Holger Drosdeck die Schrift mit Schlämmkreide am Wasserkasten an.
Am Morgen des 17.11.2015 hat der „Kondolenzzug“ Aue erreicht.
Der Zug befährt nun das Anschlussgleis zur Nickelhütte im Auer Stadtgebiet. Hier an der „Glück-Auf-Schranke“.
Ein letzter Gruß für Günter Meyer wird durch die Dampfpfeife der 86er übermittelt.
Der Zug fährt weiter, durch das Stadtgebiet von Aue nach Schwarzenberg. Zeitgleich öffnet der Himmel seine Schleusen. Momente, die sich einprägen!
Nach Ergänzen der Vorräte geht die Fahrt weiter nach Cranzahl. Erstmals seit Ostern 1997 überquert eine 86 das Seitental der Großen Mittweida auf dem bekannten Markersbacher Viadukt.
Einfahrt in Annaberg-Buchholz Süd. Für die Weiterfahrt nach Cranzahl muss die Fahrtrichtung geändert werden.
Der Bildautor nutzte die Gunst der Stunde für eine Mitfahrt nach Cranzahl. Dort werden erneut die Wasservorräte aufgefüllt.
Ein erstes Zusammentreffen von 86 1333 und den im Jahr 2005 aufgestellten Ausfahrsignalen in Cranzahl.
Durchfahrt in Scheibenberg. Hier zweigte bis 1966 die Strecke nach Elterlein (- Zwönitz) ab, wo Günter Meyer seinerzeit die 86 des letzten Güterzuges mit einer Kreideaufschrift versah, achja.
Günter Meyer in historischer Uniform auf dem Führerstand von 58 1800 anlässlich „100 Jahre CA-Linie“ im Bahnhof Zwönitz (1975). Möge er in Frieden ruhen.

Ein Dank an die PRESS, das Lok- und Zugpersonal für den gelungenen Abschied. Ebenfalls ein Dank an die Bildautoren dieses Beitrages, Holger Drosdeck und Siegfried Bergelt/SBC.

© 2015 MBC

Wikipedia-Eintrag zu Günter Meyer

Traueranzeige in der Freien Presse

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