Zug ohne jede Eile – auf 750 mm ins Zittauer Gebirge

Zu den schönsten und abwechslungsreichsten heute noch existenten sächsischen Schmalspurbahnen zählt die „ZOJE“. Sie führt von Zittau nach Bertsdorf (8,9 km) und teilt sich dort in die Äste nach Kurort Oybin (3,3 km) und Kurort Jonsdorf (3,8 km). Die 1890 in Betrieb genommene Bahn weist einige Besonderheiten auf.

Geschichte

Erbaut und eröffnet auf Initiative der Zittau-Oybin-Jonsdorfer Eisenbahn-Gesellschaft, war sie die einzige 750-mm-Privatbahn Sachsens. Das Kürzel Z.O.J.E. interpretierte der Volksmund schnell als „Zug ohne jede Eile“. So gemütlich wie auf anderen Schmalspurbahnen ging es hier aber nicht zu. 1906 erfolgte die Verstaatlichung, in der Folgezeit boomte der Ausflugsverkehr und führte ab 1913 gar zum zweigleisigen Ausbau von Zittau-Vorstadt bis Oybin. Auch Elektrifizierung und Umspurung waren im Gespräch, wurden aber letztlich nicht realisiert.

[1] Der Schmalspurteil in Zittau befindet sich am Bahnhofsvorplatz der „großen“ Bahn. Heute fast in Vergessenheit geraten: der Schmalspurbahnhof entstand nicht für die ZOJE, sondern für die bereits 1884 eröffnete Strecke Zittau-Reichenau-Markersdorf, die später bis Hermsdorf, an der damaligen Grenze zu Österreich, verlängert wurde. Aber dazu später mehr. (Aufnahme vom 30.09.12)

Nach dem Zweiten Weltkrieg endete der zweigleisige Betrieb. Allmählich wuchs der Ausflugsverkehr wieder an. Der sich ausbreitende Braunkohlentagebau sollte Mitte 1990 das Schicksal der Strecke besiegeln, durch die Wende kam es dazu glücklicherweise nicht mehr. Der einst umfangreiche Güterverkehr endete 1993. 1996 übernahm die Sächsisch-Oberlausitzer Eisenbahngesellschaft mbH (SOEG) die Strecke von der DB. Heute besteht auf der Bahn, neben dem nach wie vor großteils dampfbespannten Regelbetrieb, ein abwechslungsreiches Angebot mit historischen Zuggarnituren („Sachsenzug“, „Reichsbahnzug“ und historischer Triebwagen 137 322). Die SOEG kooperiert dabei mit dem Interessenverband Zittauer Schmalspurbahnen e.V. und dem Netzwerk „Dampfbahn-Route Sachsen“.

Bahnhof Zittau

[2] Stationiert sind die Lokomotiven in Zittau unmittelbar neben dem Bw der Normalspurbahn. 99 749 steht am Morgen des 24. Februar 2006 vor dem rechteckigen Heizhaus. Die 1’E1′-Einheitslokomotiven der Baureihe 99.73-76 bilden seit vielen Jahrzehnten das Rückgrat der Zittauer Schmalspurbahn.
[3] Verlassen die Loks das Bw, fahren sie im Bogen um den Rundschuppen der „Großen“, wo bis 1992 noch 52.80 als Heizloks stationiert waren. (99 735 am 04.02.09)
[4] Im ehemaligen Güterbahnhof werden heute die Reisezugwagen abgestellt. 99 731 hat sich gerade an den ersten Zug des Tages gesetzt (24.02.06). Heute befinden sich links die 2007 neu errichteten Wagen- und Werkstatthallen.
[5] Seit 2009 zählt auch eine rumänische Diesellok vom Typ L45H zum Bestand der SOEG. Nach Remotorisierung und weiteren Anpassungen ist sie seit Sommer 2011 als „199 018“ im Einsatz. Am 26. September 2012 rangiert sie emsig Reisezugwagen in Zittau – wie einst „Hofdame“ 99 4532.
[6] Ein Zug bespannt mit 99 731 verlässt den Bahnhof Zittau. Die klassische Stellwerkstechnik mit Formsignalen ist mittlerweile Geschichte. (26.09.12)

Zittau – Zittau-Vorstadt

Die Strecke umfährt in einem großen Bogen das Stadtzentrum, erst nach etwa 270° biegt sie nach Südwesten ab und der Bahnhof Zittau-Vorstadt ist erreicht (km 4,3).

[7] Unmittelbar hinter dem Bahnhof wird die Regelspurstrecke nach Reichenberg/Liberec niveaugleich gekreuzt. 1,8 Kilometer später wird sie durch den 18 Meter hohen Neißeviadukt unterquert. (99 749 am 07.03.12)
[8] Erste Zwischenstation ist Zittau Haltepunkt, an welchem 99 749 mit einem Vormittagszug am 9. März 2012 soeben zum Halten gekommen ist. Der Höhenunterschied zur Strecke nach Reichenberg/Liberec ist nun schon groß. Die Baukosten der Strecke Zittau – Reichenau wurden durch umfangreiche Kunstbauten zur Sicherung des Bahndammes in die Höhe getrieben. Seit 1973 war der stark frequentierte Bahnübergang Görlitzer Straße durch eine zugbediente Blinklichtanlage gesichert. Die (D)DR-Blinklichtanlage (WSSB) ist seit 9. November 2012 Geschichte.
[9] Bei Kilometer 1,647 beginnt die eigentliche ZOJE erst. Hier befand sich der Abzweig Neißebrücke, wo die Strecke nach Reichenau (- Hermsdorf) abzweigte. Die politischen Veränderungen ab 1945 und die neue Grenzziehung brachten das Ende der Strecke nach Hermsdorf, die nun größtenteils in Polen lag. Polnische Streckenteile überlebten noch bis in die 1960er-Jahre. Im Zittauer Stadtgebiet wurde noch der Anschluss Schlachthof bis 1961 bedient. Am 30. September 2012 passierte 99 758 die ehemalige Abzweigstelle. Die Weiche lag etwa in Höhe des Fotografen. 1998 verschwand das Stellwerksgebäude.
[10] Nächste Station im Stadtgebiet ist Zittau Süd (früher Zittau Schießhaus). Der heute unbesetzte Bahnhof wurde erst 1897 errichtet und verfügt noch über ein Kreuzungsgleis, welches planmäßig nicht genutzt wird. (30.09.12)
[11] 1938 wurden die vier Dieseltriebwagen 137 322-325 (Waggonfabrik Busch, Bautzen) an die DR geliefert. Nach dem Krieg verblieben drei Triebwagen in Polen. 137 322 überlebte in Zittau und kam bis 1964 zum Einsatz. Ein schwerer Getriebeschaden zwang das Fahrzeug dann zu insgesamt 43 Jahren Betriebspause. Seit 2007 ist 137 322 wieder regelmäßig auf seiner Stammstrecke zu erleben. (Zittau Süd am 30.09.12)
[12] Blick in Richtung Zittau-Vorstadt, links ist das Empfangsgebäude zu sehen. Gut zu erkennen ist, dass die Strecke vor dem Bahnhof einen 90°-Bogen beschreibt. 137 322 hat mit Beiwagen gerade Zittau-Vorstadt verlassen und ist in Richtung Zittau Süd unterwegs (30.09.12).

Zittau-Vorstadt – Bertsdorf

[13] Für Schmalspurbahnverhältnisse sehr großzügig ausgestattet ist der Bahnhof Zittau-Vorstadt. Er wurde 1912/13 als Ausgangspunkt des zweigleisigen Streckenabschnittes neu gestaltet, u. a. mit massivem Empfangsgebäude und Bahnsteigunterführungen. (99 735 am 29.07.09)
[14] Unmittelbar neben dem Bahnhof Zittau-Vorstadt befand sich der Anschluss Stahlwerk, einer der letzten Güterkunden der Bahn nach der Wende. Am 24. Februar 2006 (großes Bild) war das Anschlussgleis längst gekappt, am 30. September 2012 (kleines Bild) waren auch diese Reste beseitigt.
[15] Kurz hinter Zittau-Vorstadt stand bis 2000 dieses markante Fabrikgebäude. Die Qualität der Aufnahme vom 4. August 1999 mit 99 758 ist zwar schlecht, dennoch wollte ich dieses bekannte Motiv gern zeigen.
[16] Der schöne Altbauzug (mit Reko-Packwagen) hat gerade Olbersdorf-Niederdorf verlassen. Diese Station ist schon seit den 1970er-Jahren ein unbesetzter Haltepunkt, das große Bahnhofsgebäude erinnert an andere Zeiten. An dieser Stelle waren 1988 die Braunkohlenbagger schon bedrohlich nahe, doch dann kam die politische Wende und die Stilllegung der Schmalspurbahn wurde verworfen. Für die Olbersdorfer Kirche war es bereits zu spät. (24.02.06)
[17] Ein paar Meter weiter und gut sechseinhalb Jahre später ist 99 758 am 30. September 2012 unterwegs. Die Telegrafenleitung ist an dieser Stelle inzwischen nicht mehr vorhanden.
[18] Der größte Kunstbau ist die 124 Meter lange Olbersdorfer Brücke. Sie entstand ebenfalls während des zweigleisigen Ausbaus im Zuge einer Neutrassierung. 99 758 rumpelt über das nur schwer in Gänze einsehbare Bauwerk gen Zittau. Alle Häuser nördlich der Brücke sollten dem Tagebau weichen. (30.09.12)
[19] Der Bahnhof Olbersdorf-Oberdorf ist erreicht. Früher hieß er Zeißigschenke, benannt nach dem gleichnamigen Gasthof, der einst neben dem Bahnhofsgebäude in Richtung Bertsdorf stand. Bis hierher gab es reichlich Güterverkehr zum Holzimprägnierwerk Olbersdorf (vormals Katz & Klumpp), welches zwei Gleisanschlüsse hatte: „Unterholz“ (im Bf) und „Oberholz“ (auf freier Strecke gen Bertsdorf). Seit April 2012 finden im Bahnhof wieder planmäßige Zugkreuzungen statt, wofür er mit Rückfallweichen ausgestattet wurde. (99 735 am 04.02.09). Übrigens zweigte ab 1949 im Bahnhof Olbersdorf-Oberdorf eine 2,4 Kilometer lange Anschlussbahn nach Norden zum Tagebau (Grube „Glück auf“) ab. 1970 wurde sie stillgelegt und abgebaut.

Bahnhof Bertsdorf

Bei Streckenkilometer 8,9 liegt am Waldrand vor den Bergen der Bahnhof Bertsdorf. Der eigentliche Ort Bertsdorf ist etwa zwei Kilometer entfernt. Als ursprünglicher Betriebsmittelpunkt verfügt der Bahnhof über umfangreiche Hochbauten in Backsteinbauweise (Empfangsgebäude, Güterschuppen, Lokschuppen und Kohleschuppen). Zu den Besonderheiten zählt das 1938 erbaute mechanische Schlüsselstellwerk, welches nach wie vor vom Zugleiter bedient wird.

[20] 99 735 erreicht den Bahnhof Bertsdorf. Links ist das mit der Bahn entstandene Hotel zu sehen. Das schöne Gebäude ist ein äußerlich exakter Nachbau aus dem Jahr 1995, das Original war nicht zu retten. Rechts sind zwei vom Interessenverband Zittauer Schmalspurbahnen e.V. restaurierte Güterwagen zu sehen. Der zweiachsige, offene 97-19-67 stammt von den Friedländer Bezirksbahnen, die in Hermsdorf mit der Zittauer Strecke verbunden waren.
[21] Auch die schon erwähnte 99 4532 wird vom Verein betreut. Sie kam 1963 von der Trusebahn nach Zittau und stand ausschließlich als Rangierlok im Bahnhof Zittau im Einsatz, bis Oktober 1989. Die Maschine besaß ursprünglich zwei Klien-Lindner-Hohlachsen. Diese unterhaltungsaufwändige Konstruktion wurde aber in der Zittauer Zeit durch starre Achsen ersetzt. Sollte die Lok jemals wieder betriebsfähig aufgearbeitet werden, braucht sie einen neuen Kessel, der alte stammt noch aus dem Baujahr 1924. Im Bertsdorfer Schuppen hat die Lok ihre Ruhestätte gefunden. (Bild vom 22.04.00)
[22] Als sich 137 322 am 22. April 2000 mal wieder im Freien präsentierte, befand sich der Triebwagen schon 36 Jahre im Ruhestand. Sieben Jahre später wird es endlich wieder aus eigener Kraft auf die Strecke gehen. Im Hintergrund ist das Empfangsgebäude zu sehen, welches sich in Insellage zwischen Gleis 1 und 7 befindet.
[23] Nicht wegzudenken ist die Bertsdorfer Doppelausfahrt – zweifellos das beliebteste und bekannteste Motiv der ZOJE. Noch immer kann man dieses Schauspiel planmäßig bewundern. Der linke Zug mit 99 758 fährt nach Kurort Jonsdorf, 99 735 fährt nach Kurort Oybin (04.02.09). 99 735 ist aktuell mit Fristablauf abgestellt.

Bertsdorf – Kurort Jonsdorf

Unmittelbar hinter dem Bertsdorfer Bahnhof schlängelt sich die Strecke steigungsreich durch ein Waldgebiet. Nach 2,1 Kilometern taucht das Gleis aus dem Wald und die einzige Zwischenstation „Kurort Jonsdorf Haltestelle“ ist erreicht. Die restlichen Streckenmeter zählen zu einem der landschaftlich reizvollsten Abschnitte der ZOJE. Umgeben von typischen Umgebindehäusern verläuft die Bahn am Hang des Jonsberges entlang.

[24] Der Bahnhof Bertsdorf ist noch aus allen drei Richtungen mit Einfahrformsignalen gesichert. Als 99 758 aus Richtung Jonsdorf einfährt, wirkt es so, als ob man bei der Modellbahn mit den Maßstäben durcheinandergekommen wäre. (04.02.09)
[25] Der Hang des Jonsberges bietet an klaren Tagen einen wunderbaren Landschaftsblick. Während das Sachsenzüglein mit IV K 145 (99 555) dem Kurort entgegenstrebt, sind im Hintergrund die Stadt Zittau und das Kraftwerk Reichenau/Bogatynia (Polen) nahe Hirschfelde zu sehen. (17.08.13)
[26] Im August 2013 gastierte 99 715 aus dem Preßnitztal samt Wagenmaterial in der Oberlausitz. Kurz nach Verlassen des Bahnhofs Jonsdorf wird die Kirche passiert. (17.08.13)
[27] Der Endbahnhof Jonsdorf war ursprünglich nur mit einer schlichten Wartehalle bestückt, weil er anfangs nicht als solcher konzipiert war. Über Jahre hielten sich Pläne für eine Verlängerung der Strecke nach Böhmen. Erst als die Fortsetzungsbemühungen endgültig vom Tisch waren, entstand 1913 das repräsentative Empfangsgebäude, das heute eine Pension beherbergt. (Aufnahme vom 24.02.06 mit 99 731)

Bertsdorf – Kurort Oybin

Der Streckenast nach Oybin ist nur 3,3 Kilometer lang. Nachdem der Bahnhof Bertsdorf in einem scharfen Linksbogen verlassen wird, geht es zunächst durch Wald, an dessen Ende die Station Kurort Oybin-Niederdorf erreicht wird. Anschließend schlängelt sich die Bahn parallel zu Straße und Wanderweg vorbei an Töpfer und Ameisenberg bis zum Endpunkt Oybin, der unmittelbar am Fuße des gleichnamigen Berges liegt.

[28] Gastlok 99 715 dampft dem Erholungsort Oybin entgegen. Sie hat gerade den Haltepunkt Teufelsmühle verlassen. Diese Zwischenstation war zwischen 1974 und 1990 bereits aufgegeben worden. Gut kann man hier noch das Planum des zweiten Streckengleises erahnen. (17.08.13)

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